Wo früher Schaufenster waren, sitzen im Modehaus Reichert 1850 in Nagold heute die Gäste des hauseigenen Cafés

Wo früher Schaufenster waren, sitzen im Modehaus Reichert 1850 in Nagold heute die Gäste des hauseigenen Cafés.
Foto: Atelier 522

Das Modegeschäft Reichert 1850 in Nagold hat sich beim Umbau im vergangenen Jahr entschieden, auf einen Teil der Schaufensterfläche zu verzichten und die Außenwirkung des Geschäfts mit einem Café im Eingangsbereich zu verändern. Für Inhaber Christoph Leins die richtige Entscheidung: „Wir haben jetzt zwar weniger Platz für unsere Schaufensterinszenierungen, aber die Gastrofläche signalisiert Gastfreundschaft und lädt Passanten ein, hereinzukommen. Wir sind mit der Wirkung sehr zufrieden.“

Eine ähnliche Lösung wird es im Laufe des Jahres auch bei Kaiser S1 geben, einem Concept-Store für Männer in Freiburg. Nachdem bereits vor 3 Jahren im 1. OG die Rückwände vor den Fenstern durch eine Glaswand im Stil eines Gewächshauses ersetzt wurden, wird in diesem Jahr das Erdgeschoss neu gestaltet. Im Mittelpunkt steht dabei die Eröffnung einer Bar mit Außengastronomie, sodass die Schaufensterfront rechts vom Eingang weichen muss. Gewünscht ist laut Geschäftsführer Heinz-Peter Böker die Öffnung der Fläche in den städtischen Raum.

Mehr Tageslicht

Immer mehr Modehändler entscheiden sich aktuell dafür, die Rückwände vor Fenstern zu entfernen und mehr Tageslicht in die Verkaufsräume zu lassen – nicht nur im Erdgeschoss, sondern auch in den oberen Etagen. Jutta Blocher, Managing Director und Head of Interior Design beim Stuttgarter Architekturbüro Blocher Partners, freut sich über diese Entwicklung, gehört sie nach eigenem Bekunden schon lange zu den Verfechterinnen von mehr Öffnung nach außen. „Die Verkaufsfläche erweitert sich optisch durch die Einbeziehung des Außenraums. Die Dynamik, die draußen durch die Veränderung des Tageslichts und durch das natürliche Wechselspiel von Sonne und Schatten entsteht, belebt auch die Atmosphäre im Inneren. Das Wohlbefinden der Kunden und auch der Mitarbeiter steigt dadurch“, ist die Fachfrau überzeugt.

Schöner Ausblick aus dem Modehaus Juhasz in Bad Reichenhall

Schöner Ausblick aus dem Modehaus Juhasz in Bad Reichenhall.
Foto: Blocher Partners

Diesen Effekt beobachtet auch Heinz-Herbert Dustmann, Geschäftsführer des Ladenbauunternehmens Dula, nach dem Umbau des unternehmenseigenen Lifestyle-Stores Dustmann in Dortmund. „Wir haben bei der Neugestaltung viel Wert darauf gelegt, dass wir eine Verbindung zur Außenwelt schaffen. Bodentiefe Fenster auf allen Etagen ermöglichen Ein- und Ausblicke. Die Resonanz ist durchweg positiv, sowohl bei den Kundinnen und Kunden als auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, so Dustmann.

Gabriele Manthey, Mitinhaberin des Modehauses TC Buckenmaier, bekommt ebenfalls positives Feedback bezüglich des neuen Auftritts der DOB-Abteilung „Frauenreich“ im Stammhaus in Crailsheim. Manthey war zunächst skeptisch, als ihr Jochen Messerschmid vom gleichnamigen Architekturbüro in Stuttgart vorschlug, auf die Rückwände zu verzichten. „Ich hatte befürchtet, dass wir zu viel Fläche für die Warenpräsentation verlieren, insbesondere in der Young-Fashion-Abteilung, in der der Warendruck gerade zu Saisonbeginn hoch ist. Aber das wurde mit einem transparenten Vorhang und filigranen Warenträgern gut gelöst.“

Wandabwicklungen kompensieren

Die von Manthey genannte Befürchtung hört Jutta Blocher in den Vorgesprächen oft. Viele Modehändler haben Sorge, dass sie durch fehlende Wandabwicklungen weniger Ware zeigen können und ihnen die Frontalpräsentation fehlt, die für die Fernwirkung und die Orientierung der Kunden wichtig ist. Blocher nimmt den Einwand ernst: „Natürlich muss man diese Aspekte beachten und thematisieren. In vielen Fällen kann dies aber mit anderen Gestaltungslösungen wie Vorhängen, von der Decke hängenden Warenträgern oder mobilen Raumteilern gelöst werden. In jedem Fall müssen alternative Fokuspunkte geschaffen und gegebenenfalls Laufwege verändert werden.“

Auf erheblichen Widerstand stoßen die Storedesigner häufig dann, wenn es um die Öffnung von oder sogar den Verzicht auf Schaufenster geht, weil diese gerade im stationären Modehandel nach wie vor zu den wichtigsten Marketinginstrumenten zählen. Tatsächlich kann ein Schaufenster häufig nur dann seine volle Faszination entfalten, wenn es wie eine Bühne nach hinten geschlossen ist.

Ein Kompromiss kann die Kombination von geschlossenen und geöffneten Schaufenstern sein, sodass die Passanten sehen können, was sie im Inneren erwartet. Dies bedeutet aber auch, dass die einsehbaren Flächen im gesamten Tages- sowie im Saisonverlauf ansprechend und einladend aussehen müssen. Sollte dies im manchmal hektischen Tagesgeschäft nicht immer gelingen, können sich Fensteröffnungen auch kontraproduktiv auswirken.

Klimatechnik und Lichtsteuerung

Ebenfalls nicht vernachlässigt werden dürfen die Aspekte Klimatechnik und Lichtsteuerung. Das wechselnde Tageslicht bringt einige Herausforderungen für die Steuerung der Raumtemperatur und der Beleuchtung mit sich, betont Heinz-Herbert Dustmann: „Modernes, intelligentes Lichtmanagement bietet die Möglichkeit, in den betreffenden Bereichen das Kunstlicht-Niveau abhängig von der Intensität des Tageslichts anzupassen.“

Ähnlich variabel sollte im Idealfall die Steuerung der Raumtemperatur sein, da direkte Sonneneinstrahlung unweigerlich dazu führt, dass sich die Räume aufheizen. Bei Neu- oder Umbauvorhaben kann zusätzlich der Einbau von Sonnenschutz- und Wärmeschutzglas geprüft werden. Sonnenschutzfolien hingegen können sich negativ auf die Farbwiedergabe auswirken.

Weitere Informationen: redaktion@ehi.org