Pointiert dosiert | stores+shops

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Die Buchhandlung Gessler 1862 in Friedrichshafen transformierte sich zum „hyggeligen“ Treffpunkt. (Foto: Atelier 522)

Pointiert dosiert

Die Sehnsucht nach dem dänischen Lebensgefühl hat Deutschland fest im Griff. Hygge hier und Hygge dort – das Trendwort ist in vieler Munde. Was steckt dahinter? Wie beeinflusst die Strömung das Storedesign? Und worauf ist bei der Umsetzung zu achten? Erster Grundsatz: schön, aber nicht übertreiben.

Wenn es beim „World Happiness Report“ der UN um den Titel „glücklichstes Volk der Welt“ geht, liegen die Dänen regelmäßig vorn. Wie machen sie das? Ein Grund wird in der Einstellung der Nordlichter zum Leben an sich gesehen und mit dem Wort Hygge auf den Punkt gebracht. Bücher- und Zeitschriftenregale sind aktuell voll von Werken wie „Hygg Hygg Hurra!“ von Helen Russell. Der Klappentext verrät: „Hygge ist, mit Freunden an einem lauen Sommerabend bis spät in die Nacht im Garten zu sitzen, ein schön gedeckter Tisch für die Familie bei Kerzenschein, ein gemütlicher Winterabend vor dem Kamin, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und süßen Zimtschnecken, viel Holz, Blumen und Gemütlichkeit.“

Entschleunigung sogar an der Rennstrecke: Der „Audi Racing Garden“ in Le Mans im dänischen Stil (Foto: Atelier 522)

Entschleunigung sogar an der Rennstrecke: Der „Audi Racing Garden“ in Le Mans im dänischen Stil (Foto: Atelier 522)

Ingredienzen, die sich immer stärker auch im Storedesign wiederfinden. Hyggisch – das sind für Philipp Beck, Geschäftsführer von Atelier 522 aus Markdorf, im Storedesign „Rückzugsorte an turbulenten Plätzen, zentrale Produkt-Themeninseln oder gezielt inszenierte Genussorte.“ Nun ist Wohnlichkeit zu kreieren nichts ganz Neues, doch manchmal genügt es bekanntlich schon, dem Kind einen neuen Namen zu geben: „Lounge-Bereiche mit Sitzmöbeln und Teppichen sind schon seit Längerem fester Bestandteil vieler Stores. Neu ist der verstärkte Einsatz von Gastronomie sowie von Pflanzen. Gerade mit Pflanzen wird signalisiert: Da lebt etwas, da kümmert sich jemand“, sagt Dustin Kuhl, Geschäftsführer von Fifty-Fifty Design aus Mannheim. Das Designbüro ist für die Neugestaltung des Trendhauses „Engelhorn – the box" in Mannheim mitverantwortlich und brachte dabei u. a. Grünpflanzen in die Gestaltung ein.

Entschleunigung

Überhaupt ist das Thema Entschleunigung einer der Treiber des Trends. Hygge gilt als Gegenbewegung zur Digitalisierung und unpersönlichen Moderne. Carsten Heppke, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmen der Bontempo Group, Hamburg, sagt dazu: „Erlebniswelten mit einer Art Gemütlichkeit und Behaglichkeit zu inszenieren, ist immer von Vorteil und ein cleveres Werkzeug, um sich vom Onlinehandel zu separieren. Wichtig ist aus unserer Sicht jedoch, das Heimelige lediglich einfließen zu lassen. Es gilt, eine stimmige Gesamtkombination aus Hygge, Technologie und Erlebnis zu schaffen. Die Priorität muss auf der Botschaft des Produkts liegen.“

Sogar die Bürowelt Staehlin in Kempten schuf für ihre Kunden einen „hyggeligen“ Ruhepunkt. (Foto: Atelier 522)

Sogar die Bürowelt Staehlin in Kempten schuf für ihre Kunden einen „hyggeligen“ Ruhepunkt. (Foto: Atelier 522)

Philipp Beck sieht dies ähnlich: „Ein Lebensgefühl auf die Verkaufsfläche zu übersetzen bedarf, vergleichbar einem guten Theaterstück, einer pointierten Dosierung.“ Er ist zudem überzeugt: „Auch in der Unvollkommenheit schlummert die Gemütlichkeit.“

Und tatsächlich ist Hygge bei den Skandinaviern stets lässig, nie perfekt. „Unaufgeregte“ Sitzmöglichkeiten wie Poufs, Schaukelstühle, Ohrensessel, dazu Wollplaids, Samtkissen, Schaffelle, Langflor-Teppiche, Sisal-Körbe und Naturmaterialien – all das verkörpert den Skandi-Chic. Wichtige Accessoires des dänischen Lifestyles und offenbar auch des dänischen Lebensglücks sind zudem Kaminfeuer und Kerzen; etwa ein Viertel der Dänen, so heißt es, greift täglich zum Streichholz.

Vorsicht Feuer

Kamine, die rechtlich unter Feuerstätten fallen, sind für den Handel aber nicht leicht, oftmals auch gar nicht umzusetzen. „Je nach Größe der Verkaufsstätte, ihrer baurechtlichen Einordnung – Sonderbau ja oder nein – oder der beabsichtigten einzubringenden Brandlasten und Zündquellen sind Vorgaben zum Brandschutz einzuhalten“, darauf macht Clemens Gabriel aufmerksam, Fachplaner und -bauleiter Brandschutz beim TÜV Rheinland. Gabriel: „Lösungsmöglichkeiten können zusammen mit den zuständigen Baubehörden, dem örtlichen Kaminkehrermeister und der Feuerwehr gefunden werden, was aber einen bürokratischen und technischen Aufwand mit sich bringen kann. Von echten Kerzen – besonders unbeaufsichtigt – wird aus Gründen der Brand- und Gefahrenverhütung grundsätzlich abgeraten. Es können allein optische Hilfsmittel wie elektrische Kerzen (LED) verwendet werden. Auch Kaminsimulationen via Bildschirm sind natürlich problemlos möglich.“ Damit schließt sich dann wieder der Kreis zwischen Hygge und Hightech: „Man kann durchaus mit neuen Licht-, Multimedia- oder interaktiven Elementen Behaglichkeit schaffen“, sagt Carsten Heppke von der Bontempo Group.

Eine weitere Alternative ist es, Kerzen & Co. als Zusatzartikel zu präsentieren und zu verkaufen – eine Entwicklung, die ebenfalls im Trend liegt. Die Thalia-Buchhandlung in der Spitalerstraße in Hamburg orientierte sich bei ihrer Neugestaltung am Hygge-Konzept. Die einzelnen Buch-Themenwelten werden seitdem um passende Accessoires wie dicke Socken, Teelichter oder Decken und Kissen im nordischen Design ergänzt.

Duftende Buchhandlung

Auch das von Atelier 522 umgebaute Gessler 1862 in Friedrichshafen ist längst mehr als eine Buchhandlung. Das Traditionsunternehmen hat sich zu einem kulturellen Treffpunkt gewandelt – mit Piano und Veranstaltungskalender vom Live-Konzert bis zur Lesung, mit Snacks und Leckereien in der angeschlossenen Café-Bar und mit Produkten wie Herrendüfte oder Raumbeduftung – Letzteres die olfaktorische Komponente des Hygge-Erlebnisses.

Die Sportabteilung des Modehauses Hohmann & Heil in Fulda setzt auf Scandinavian Lifestyle mit Rentierbildern

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„Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, erhöht die Verweildauer“, bringt es Matthias Schäfer, Geschäftsführer des Ladenbauers Holzakzente aus Schondra auf den Punkt. Er subsummiert auch regionale Abwandlungen unter dem Hygge-Trend: So integrierte Holzakzente beispielsweise eine Almhütte mit rückwärtigem Zugspitzpanorama in die Sportabteilung von Hohmann & Heil in Fulda. Auf einer rustikalen Bank, wie man sie sonst bei Waldspaziergängen findet, können sich die Kunden zur Schuh-Anprobe oder einfach zur Entspannung niederlassen. „Eine Auszeit vom Alltag, (Natur-)Erlebnis, Emotion – all das spielt in die Entwicklung hinein – jedoch: Hygge-Ambiente allein reicht nicht“, betont Matthias Schäfer. Seine Priorität: „Ladenbau heute muss intelligent und variabel sein. Das Mobiliar muss sich flexibel räumlich anpassen und konzeptionell umgestalten lassen. Und es muss mit guter Navigation und Kommunikation kombiniert werden.“

Fotos (4): Atelier 522 (3), Holzakzente (1)

Weitere Informationen: redaktion@ehi.org

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