Einst war das Laurenskwartier die historische Innenstadt Rotterdams, im Zweiten Weltkrieg wurde sie fast vollständig zerstört. Auf dem Marktplatz direkt neben dem Gründungsstandort Rotterdams findet traditionell ein Wochenmarkt statt, der auf Wunsch der Stadt mit einer überdachten Markthalle ergänzt werden sollte. Grund dafür war eine neue EU-Verordnung, die den Verkauf von Frischwaren unter freiem Himmel untersagt. Mit seiner guten Verkehrsanbindung und historischen Bedeutung bot der Standort zugleich einen idealen Impuls für die innerstädtische Wiederbelebung des Laurenskwartiers. Bereits 2004 gewannen die niederländischen Projektentwickler Provast und das Architekturbüro MVRDV den von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb. Ihr Hybrid-Konzept vereint Einkaufen und Wohnen unter einem Dach; damit kommen die Entwickler auch dem Wunsch nach weiterem städtischen Wohnraum nach.

Offen und hell sollte die neue Markthalle sein und im Einklang mit ihrer Umgebung stehen. Ein Rundbogen aus Naturstein – in Rotterdam häufig als Pflasterstein verwendet – bildet die Fassade der Markthalle. Ihre Schmalseiten werden von einer Seilnetzfassade geschlossen: Eine um bis zu 70 cm bewegliche Stahlseil-Konstruktion verbindet je 561 quadratische Glasscheiben. Diese größte Konstruktion ihrer Art in Europa schützt die Innenseite der Markthalle vor Wind und Regen und verschafft zugleich Transparenz. So sollen Kunden in das Herzstück der Markthalle gelockt werden, den 4.000 qm großen Innenraum mit 96 Marktständen.

Markthalle Rotterdam

Adresse: Dominee Jan Scharpstraat 306, 3011 GZ Rotterdam

Eröffnung: 01.10.2014

Projektentwicklung: Provast Nederland bv

Architekt: MVRDV

Bau des Bogens: J.P. van Eesteren

Grundbau: Mobilis, Martens en Van Oord

Tragwerksplanung: D3BN/ DH V, Den Haag: Maurice Hermens

Akustik: Peutz & Associes Zoetermeer: Peter Wapenaar

Verkaufsfläche: > 12.000 qm

Budget: 175 Mio. Euro

Auszeichnungen: BREEAM Very Good Zertifikat

Kuppel: 228 Apartments

Erdgeschoss: ca. 100 Marktstände (je 20 qm) auf 4.000 qm, 15 Shops (3.400 qm), 8 Restaurants (2.000 qm)

1. Untergeschoss: Kühl- und Lagerräume der Marktstände (1.000 qm), Albert Heijn Supermarkt (1.500 qm), Gall & Gall, Etos (200 qm)

2. Untergeschoss: 1.200 Parkplätze (Tiefgarage)

Trotz durchgehend dezent-grauer Stahl-Glas-Konstruktion und einer einheitlichen Größe von 20 qm ähnelt keiner der einzeln überdachten Marktstände dem anderen. Die Händler präsentieren ihre Waren in ihrer jeweils eigenen Produktwelt. Das lokale und internationale Angebot reicht von Frischwaren und Feinkost bis zu Süßem und Blumen. Während die Frischfleisch- und Frischfisch-Händler mit weiß gefliesten Bedientheken vor dezenten Rückwänden den Produkten optisch Vortritt lassen, setzen andere in ihrer Warenpräsentation auf eine emotionale Ansprache und Storytelling.

Der niederländische Händler Van Vliet Siroopwafels zum Beispiel betreibt Markenkommunikation über ein historisches Schwarz-Weiß-Porträt, gerahmte Grafiken und einen digitalen Screen in warmem Ambiente mit gelben Rückwänden und Warenträgern aus Holz. Die Käserei Cheese & More setzt anstelle von digitalen Inhalten auf das geschriebene Wort, an ihrem Stand dominieren weiße Rückwände und Regale. Auch die Bedientheken und Bodenbeläge ihrer Stände können die Händler individuell gestalten. Neben verschiedenen Hölzern kommen Fliesen mit und ohne Muster zum Einsatz. Auch die „Dachterrassen“ der Stände sind funktionell: Bei Händlern mit vielfältigem kulinarischem Angebot bieten sie Sitzgelegenheiten, zu denen Kunden über eine schmale Treppe zwischen den Bedientheken gelangen, andernfalls sorgen Kräuter- und Gemüseanbauten für Schalldämmung.

Highlight Deckengestaltung

Das Highlight der Markthalle ist die Deckengestaltung: ein fünfschichtiger Digitaldruck auf insgesamt 4.500 Aluminiumpaneelen, der mit Pixar-Animationssoftware gerendert wurde. Der Druck präsentiert ein Bild des niederländischen Künstlerpaares Arno Coenen und Iris Roskam, das eine überbordende Fülle von Gemüse, Früchten, Blumen und Fisch darstellt. „Das Füllhorn“, so der Titel des Kunstwerks, erstreckt sich über 11.000 qm und soll stilistisch auf die Stillleben der großen niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts sowie auf die griechische Mythologie verweisen, in der das mit Gaben gefüllte Horn Glück und reichen Überfluss symbolisiert.

Das Angebot der Markthalle wird in der ersten Etage ergänzt um eine Kochschule, Konferenz- und Ausstellungsräume sowie ein Ernährungs- Informationszentrum. 8 Restaurants laden in der Markthalle zum Verweilen ein, in weiteren 20 Läden können Besucher den Lebensmitteleinkauf fortsetzen. Auf ihrem Weg zum Parkhaus im Untergeschoss begeben sich die Besucher auf eine Art Zeitreise: „De Tijdtrap“ ist eine archäologische Ausstellung. Jede Etage markiert eine historische Ära mit archäologischen Funden in museumsähnlichen Schaukästen. An den Außenseiten der Rolltreppen werden historische Ereignisse der Stadtentwicklung Rotterdams „aufgelistet“.

Für die Bewohner der 228 in das Gebäude der Markthalle integrierten Apartments führt der Weg nach oben. Über Aufzüge an der Innenseite der Markthalle oder 6 straßenseitige Eingänge gelangen sie in ihre Wohnungen, die sich vom 3. bis ins 11. Obergeschoss des Bogens erstrecken. Alle Apartments – Miet- und Eigentums- sowie Penthousewohnungen – haben Loggien an der Außenseite oder auf dem Dach, die Hälfte der Wohnungen hat zudem direkten Blick auf die Markthalle. Bewohner können somit auch nach 20 Uhr das Treiben in den Restaurants verfolgen oder das im Kunstlicht erstrahlende „Füllhorn“ bestaunen.

Fotos:  Infrashop BV (1), Ossip van Duivenbode (2), Steven Scholten, cimon.nl (1)

Weitere Informationen: www.markthalrotterdam.nl