Eine sachliche und doch emotional warme Verkaufsumgebung (Foto: Apartment 72)

Eine sachliche und doch emotional warme Verkaufsumgebung (Foto: Apartment 72)

Die Räumlichkeiten wurden komplett entkernt, Zwischenwände entfernt. Die Stützpfeiler, die dabei zum Vorschein kamen, blieben unverkleidet und wurden ins Konzept integriert. Freiraum „mit viel Luft“ sollte geschaffen werden. Freiraum, der auf ein konventionelles Ladenbausystem und jedes statische Raster verzichtet, um sich keinerlei Einengungen beugen zu müssen, so die Architektin Gisela Mühlhöfer, die intuitiv auf die räumlichen Gegebenheiten einging. „Weniger ist mehr“ lautete das Motto.

Der mit einer sandfarbenen Beschichtung versehene Estrichboden korrespondiert mit den ruhigen, hell-neutralen Wandflächen. Die Wand- und Funktionsoberflächen sind im gleichen hellen Farbton gehalten und gehen fließend ineinander über. Kein einziges Element wurde separat von einem Schreiner angefertigt – Wandelemente, Sockel und Podeste sind im Trockenbau angelegt. Das seitlich an eine Wand angesetzte Tresenelement wirkt, als wachse es aus der Wand heraus. Ein rundes Fenster in Fabrik-Optik sorgt für eine Spur Loft-Charakter.

Wohnzimmer-Ambiente, ohne plüschig zu wirken (Foto: Apartment 72)

Wohnzimmer-Ambiente, ohne plüschig zu wirken (Foto: Apartment 72)

Ein weiterer Eyecatcher ist die Effektwand an der anderen Seite des Kassentresens. Diese Rückwand lebt durch die in ihr platzierten Produkte: Feine, handgefertigte Glas- und Porzellanwaren sowie textile Legeware werden in den ausgeleuchteten Aussparungen der Wand wie Kunstwerke in Szene gesetzt.
Wie die Effektwand ist auch die tiefer im Laden liegende Feuerstelle so platziert, dass sie, von außen durch die Fensterfront sichtbar, Behaglichkeit ausstrahlt und Aufmerksamkeit weckt. Ziel dieser Positionierung attraktiver Blickfänge ist, die Hemmschwelle, den Laden zu betreten, möglichst herabzusetzen.      

Wohnliche Assoziationen

Um ein „Präsentierteller-Gefühl“ angesichts der sich über die gesamte Raumlänge erstreckenden Fensterfront zu vermeiden, lässt sich der Verkaufsraum mit vorhangartigen, flexiblen Schiebeelementen partiell und dekorationsabhängig vor Einblicken schützen.
Direkt hinter der Fensterfront ziehen sich über die gesamte Länge niedrige Podeste. Eine Präsentation darauf lässt die modische Ware hochwertig wirken, so die Architektin. Für die textile Hängeware sind Abhängungen vorgesehen, die aus einfachen Präsentationsstangen bestehen, die flexibel und individuell auf- und abbaubar sowie bei Nichtgebrauch platzsparend zu lagern sind. Diese Stangen sollen die Kunden an den Kleiderschrank zu Hause erinnern. Einzelne im Store platzierte Möbelstücke verstärken die wohnlichen Assoziationen. Wie die Glas-Accessoires sind sie käuflich zu erwerben, werden von der Inhaberin Nicole Schiedmayer jedoch nicht offensiv beworben.
Ebenfalls zurückhaltend und schlicht ist das Beleuchtungssystem aus weißen, filigranen Schienen mit beweglichen Richtstrahlern und Vorschaltgeräten, das vom Betrachter kaum wahrgenommen wird.

Weitere Informationen: www.apartment72.de

Fotos: Apartment 72 

Die Kundin emotional betüddeln

Die Fashion-Fachfrau Nicole Schiedmayer, früher im Vertrieb von Top-Modemarken tätig, hat mit der Eröffnung ihres Stores Apartment 72 die Seite gewechselt.

Wie kam es, dass Sie ein eigenes Geschäft eröffnet haben?

Bei meiner früheren Tätigkeit im Vertrieb wurde mir immer stärker bewusst, wie sehr beim Handling von Großflächen in Bekleidungshäusern der Quadratmeter-Umsatz im Vordergrund aller Überlegungen steht und wie wenig die Emotionalität. Die Kundin von heute schätzt es jedoch wieder, emotional „betüddelt“ zu werden, mit einem Kaffee und einem persönlichen Schnack in netter Atmosphäre. Hier soll es sich anfühlen wie in einem kleinen privaten Apartment mit Kuschelecke und Kamin im Winter. Der übersättigte Kunde will das Gefühl haben, ein Laden lässt sich auf den Kunden ein.

Welche Zielgruppe sprechen Sie an?

Die Kundin, die hochwertige Mode guter Qualität schätzt, ab circa 35 Jahre aufwärts. Die klassische ältere Zielgruppe gibt es ja heute nicht mehr, in jeder Altersstufe kleiden sich Frauen modisch. Gute, hochwertige Ware kann sich auf einer individuellen Fläche wie unserer viel besser präsentieren. Wenn der Kaschmir-Pulli für 500 Euro zehnfach in einer Reihe hängt und dann ständig vom Bügel auf den Boden rutscht, weil er zu eng hängt, wie es auf Großflächen oft der Fall ist, wird das der Wertigkeit des Produkts und den Ansprüchen der Kundin, die diesen Preis zu bezahlen bereit ist, nicht gerecht.

Müssen Sie Ihre hochwertige Ware zu Saisonschluss reduzieren?

Wenn die großen Modehäuser mit den Sale-Phasen loslegen und zuschlagen, bin ich gezwungen, hier nachzulegen, allerdings mache ich das durchaus dosiert. Große grüne statt rote Lettern an den Scheiben: „Sale bis 50 Prozent“ senken die Schwellenangst. Zu Sale-Zeiten kommen Kundinnen in meinen Laden, die sich dann endlich mal trauen und die ich über reduzierte Artikel an mein Sortiment heranzuführen versuche. Die Stammkundinnen interessieren die Sale-Aktionen nicht, die wollen die neue Ware.