Key Facts
- Immer mehr Handelsunternehmen testen bzw. installieren das Selfscanning per Kunden-Smartphone.
- Einige Start-ups versuchen, unternehmensübergreifende Selfscanning-Apps im Markt zu etablieren.
- Erste Anwendungen der Start-ups laufen unter anderem bei Ikea, dm, Globus und einigen Edeka-Händlern.
- Die Leistungsfähigkeit der Start-ups müssen verifiziert, das Integrationsprojekt gut geplant werden.
Zu den Software-Paketen, die große IT-Dienstleister für den Handel schnüren, gehören Bausteine für das Self-Scanning. Bei NCR zum Beispiel nennt sich die Lösung „FastLane Mobile Shopper“, mit ihr können unter anderem die Kunden von Jumbo in den Niederlanden und von Unicoop Firenze in Italien ihre Ware per Smartphone scannen. Die entsprechende Software von Diebold Nixdorf heißt „Vynamic Personal Shopper“. Sie ist bei Lidl in den Niederlanden, aber auch in vier Märkten der WEZ im Testeinsatz – WEZ Karl Preuß ist mit insgesamt 22 Märkten und einem Jahresumsatz von rund 250 Mio. Euro der größte Einzelhändler im Verbund der Edeka Minden-Hannover.
Vorteil solcher Lösungen: Falls die beim Händler installierte Kassensoftware vom selben Anbieter stammt, lässt sich die Anwendung meist problemlos integrieren. Prinzipiell ist sie aber auch mit Checkout-Systemen anderer Abstammung kombinierbar. Für die WEZ-Anwendung zum Beispiel hat Diebold Nixdorf den Vynamic Personal Shopper mit der nationalen Kassenlösung der Edeka-Gruppe verknüpft. Außerdem plant der Paderborner Dienstleister aktuell, einen Adapter für Superdata/Oracle zu entwickeln.
Ikea und dm testen die Technik
Mobile Scanning legt, von allerdings niedrigem Niveau ausgehend, inzwischen auch in Deutschland dynamisch zu. Nach 41 Märkten in 2017 wurde diese Checkout-Technik per Ende 2019 in 96 Märkten angeboten. Das EHI erhebt momentan den aktuellen Status – die Zahl der Anwendungen dürfte auch in 2020 deutlich gestiegen sein. Dabei werden unterschiedliche Konzepte verfolgt. Das saarländische SB-Warenhaus- Unternehmen Globus zum Beispiel stieg mit für die Kundschaft bereitgestellten Handscannern in die mobile Technik ein und ergänzt diesen Service inzwischen durch eine Scanning-App für Kunden-Smartphones. Ausschließlich auf die Erfassung per Smartphone setzt dagegen die Rewe Group. Per Ende 2020 boten sowohl bei den Supermärkten wie beim Discounter Penny jeweils rund 100 Filialen diesen Dienst an. Gleiches gilt für rund 15 Märkte der Edeka-Discountschiene Netto.
Mit Ikea und dm erproben momentan zwei weitere Schwergewichte des deutschen Einzelhandels das Handy-Scannen. Beide Händler greifen dazu auf die App-Lösung des Start-ups Snabble zurück. Ikea testet seit Juli 2019 im Haus Frankfurt-Niedereschbach. Die Kunden und Kundinnen können sich dort über Wifi die Snabble- App herunterladen und auch ihre „Ikea Family Card“ in der App hinterlegen. An der Kasse erzeugen sie in der App einen QR-Code. Diesen scannen sie am SB-Terminal ein und bezahlen bargeldlos. „Mit Snabble haben wir einen professionellen Partner, der uns verschiedene Lösungsvarianten anbietet“, sagt Marc Willcox, Business Partner bei Ikea (siehe Interview).
In derselben Weise funktioniert der Prozess bei den dm Drogeriemärkten – außer dass der QR-Code nicht an der SB-Kasse, sondern händisch an der bedienten Kasse eingelesen wird. Momentan ist der Service an neun dm-Standorten in Deutschland, Österreich, Ungarn und der Slowakei verfügbar.
„Wir sind im ständigen Dialog mit den teilnehmenden Märkten, die Kundenrückmeldungen sind überwiegend positiv“, berichtet Sebastian Bayer, als dm-Geschäftsführer verantwortlich für das Ressort Marketing und Beschaffung. Er hält es „für durchaus denkbar, den Service in Zukunft auch in die eigene „Mein dm-App“ zu integrieren. „Ebenso schließen wir nicht aus, dass Self-Scanning künftig an weiteren Standorten sowohl in Deutschland als auch im Ausland angeboten wird“, so Bayer.
Eine App für mehrere Handelsbetriebe
Die Lösungen von NCR oder von Diebold Nixdorf realisieren individuelles Self-Scanning – die App kann also nur in den Filialen des jeweiligen Händlers genutzt werden. Unternehmensübergreifend hingegen sind die Applikationen ausgerichtet, die von verschiedenen Start-ups wie Snabble, Scansation, Roqqio, Shopreme oder Koala angeboten werden. Die Idee dieser Dienstleister ist es, den Verbrauchern über eine einzige App das Self-Scanning in mehreren Handelsbetrieben zu ermöglichen.
Auf die Einbindung des Dienstes in sein individuelles Design muss der Händler dabei nicht verzichten. Beispiele Ikea und Snabble: Sobald das Smartphone der Kunden im Einrichtungshaus lokalisiert ist, wird die App an das Ikea-Outfit angepasst. Aus dem Hellblau von Snabble wird das Dunkelblau von Ikea, aus dem Snabble-Logo wird das Ikea-Logo. Self-Scanning steht in Deutschland noch am Anfang, daher können die neuen Anbieter auf bislang nur recht wenige Pilot- und Referenzprojekte im Handel verweisen. Roqqio in Hamburg gibt als bisherige Anwendung das schwäbische Männermode-Haus Wahl in Ertingen an. Die Koala-App ist bei den beiden selbständigen Edeka-Kaufleuten Struve in Hamburg und Meyer in Pinneberg sowie als Test in einer Hamburger Tchibo-Filiale installiert.
„Bei Edeka Struve haben in der Spitzenzeit täglich knapp drei Prozent der Kundschaft die App genutzt“, berichtet Christoph Schönfelder, Geschäftsführer von Koala. Mit der App des Münchener Unternehmens Scansation können die Kunden und Kundinnen in ebenfalls zwei Edeka-Märkten scannen: im Lebensmittelmarkt Isargärten der Familie Grosjean in München sowie in einem Markt der Familie Prechtl in Bad Feilnbach bei Rosenheim. Bezahlt wird an bedienten Kassen zusammen mit anderen Kunden. „Dadurch ist die Nutzung eher gering“, sagt Scansation-Geschäftsführer Andreas Klett.
Aus Österreich schließlich kommt Shopreme, ein Joint Venture des Grazer Software-Entwicklers Wirecube und der Umdasch Group. Shopreme ist nach eigenen Angaben der einzige Anbieter mit nativen Clients, SDK und einer Web App, welche ohne Installation im mobilen Browser des Kunden läuft. Deren Scan & Go-Lösung läuft bei Rewe-Tochter Billa Austria und beim Möbeldiscounter Möbelix, im Ende 2020 neu eröffneten Flagship-Store von Douglas in München und bei Mömax, Go2market und im Flughafen München. Wie bei Ikea ist die App auch hier in die Kundenkarte (die Douglas Beauty Card) integriert, im Gegensatz zu Ikea aber ist eine App-Bezahlung schon eingebaut. Shopreme-Geschäftsführer Florian Burgstaller: „Wir sehen eine große internationale Nachfrage nach unserer App-Lösung und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit einigen großen deutschen Handelsunternehmen in den nächsten Monaten.“
Lösungsangebote unter der Lupe
Wer sich als Händler für die Installation einer Scanning-App interessiert, wird den Markt sondieren und die Leistungsangebote der verschiedenen Anbieter detailliert prüfen (siehe Kasten Seite 88). Zunächst wichtig für eine stabile Zusammenarbeit sind Stellung, Finanzkraft und Perspektive eines Start-ups im Markt. Das Lösungskonzept und die zugehörigen Service- und Reporting-Angebote müssen unter die Lupe genommen werden. Das Start-up muss in der Lage sein, Installation und Integration der Lösung in die bestehende Kassenumgebung abzuwickeln bzw. zu unterstützen.
Naturgemäß wichtige Hinweise liefern Zahl und Namen der Händler, mit denen das Start-up schon zusammengearbeitet hat und bei denen im Zweifel nachgefragt werden kann. Bei dem Bonner Spezialisten Snabble ist diese Referenz-Auswahl bislang am größten. Neben den neun dm-Märkten und neben dem Testlauf bei Ikea ist die Snabble-App in einem Globus-Baumarkt und in einem Toom-Baumarkt verfügbar. Hinzu kommt der Gartenmarkt-Betreiber Pflanzen-Kölle. In inzwischen 13 Filialen des Händlers können die Kunden nicht nur per Smartphone scannen, sondern auch an SB-Terminals bezahlen.
Eigene globale Lösung
Marc Willcox, Communication Business Partner bei Ikea, über das Scannen per Smartphone mit der App von Snabble im Test-Haus Frankfurt Niedereschbach
Welche Erkenntnisse konnte Ikea bislang aus dem Self-Scanning- Test ziehen?
Der Test läuft seit Mitte Juli 2019, seitdem haben im Einrichtungshaus 38.075 Kundinnen und Kunden Scan & Go genutzt. Ihre Zufriedenheit ist enorm hoch, uns stellt besonders zufrieden, dass die App stabil und fehlerfrei läuft. Der Warenwert bei Einkäufen mit Scan & Go lag im Schnitt 25 Prozent über dem regulären Durchschnitt im Vergleichszeitraum.
Wie läuft der Bezahlvorgang ab?
An der Kasse erzeugt der Kunde oder die Kundin in der App einen QR-Code. Diesen scannen sie am SB-Terminal ein. Die Bezahlung erfolgt bargeldlos an der Expresskasse. Eine In-App-Bezahlmöglichkeit konnten wir bislang nicht testen.
Wird die Lösung auch in anderen Einrichtungshäusern eingeführt?
Ikea hat im Sommer 2020 im französischen Einrichtungshaus Lille die eigene Lösung Shop & Go in der Ikea-App getestet und rollt diese bereits in einigen Ländern aus. In Deutschland rechnen wir mit einem Test dieser Lösung Mitte 2021. Diese soll dann auch eine Bezahlung direkt in der App möglich machen. Mit Snabble hat Ikea Deutschland einen zuverlässigen und professionellen Partner. Perspektivisch hat sich Ikea jedoch für die Entwicklung einer eigenen globalen Lösung entschieden.
Start-ups – Messlatte für die Zusammenarbeit
Viel Innovationsfreude und Kreativität, dafür weniger Erfahrung und Finanzkraft – derartige Klischees über junge Start-ups treffen naturgemäß nicht generell zu. Für den Händler, der Scanning-Dienste einführen will, gilt es dennoch zu prüfen, wie die Anbieter von App-Lösungen aufgestellt sind.
Marktposition: Ihre Anschubfinanzierung besorgen sich Start-ups üblicherweise über externe Investoren. Die entsprechenden Verträge verpflichten häufig zur Verschwiegenheit. Dennoch sollte das Unternehmen dem Händler schlüssig darlegen können, dass seine Finanzkraft perspektivisch ausreichend, seine Strategie langfristig angelegt und somit eine stabile Zusammenarbeit gesichert ist. Unter anderem die Zahl der Mitarbeitenden und die Zahl der Kooperationen mit anderen IT-Dienstleistern bieten hierfür Anhaltspunkte.
Marktdurchdringung: Eine einzige App zur Nutzung bei vielen (und möglichst namhaften) Handelsunternehmen – darauf basieren die Konzepte der neuen Anbieter. Eine Perspektive zur Erreichung dieser Zielsetzung sollte vorhanden sein. Die aktuell erreichte Zahl der Anwendungen bzw. die konkreten Pipeline-Projekte sind dafür ein gutes Indiz.
Lösung: Der Kern der Anwendung, nämlich das Self-Scanning, muss ebenso stabil und fehlerfrei laufen wie der Abschluss der Prozesse durch das Einlesen der QR-Codes an den SB-Kassen. Für die Kundinnen und Kunden müssen diese Prozesse einfach und intuitiv sein. Relevant für den Händler sind auch die ergänzenden Angebote des Dienstleisters: zum Beispiel die Einbindung des Händler-Corporate-Designs in die App, die Einbindung in bestehende CRM-/Kundenkartensysteme, die personalisierte Kundenkommunikation etc.
Integration: Der Einbau neuer Anwendungen in bestehende Kassenlandschaften stellt sich häufig komplizierter und aufwändiger dar als gedacht. Das Start-up sollte hier eine realistische Projektplanung vorlegen sowie über die Manpower, die Kompetenz und/ oder über Kooperationen mit anderen IT-Dienstleistern verfügen, um diese Integrationsprozesse effektiv abwickeln zu können. Testprojekte sollten mithilfe einer Plug & Play-Anwendung einfach und schnell auf die Beine zu stellen sein. Shopreme zum Beispiel stellt eine einheitliche API zur Verfügung, mit dem händlerspezifische Marktprozesse angebunden werden können.
Reporting: Händler benötigen aussagekräftige Angaben über die Nutzung der App. „Wir können den Händler mit völlig neuartigen Informationen über das Einkaufsverhalten seiner Kunden versorgen“, verspricht zum Beispiel Christoph Schönfelder von Koala. Snabble hat ein Händler-Portal gebaut, in dem unter anderem Einkäufe überwacht und aktuelle Statistiken ständig eingesehen werden können. Das Reporting sollte auch Revision und Controlling-Informationen beinhalten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Datenschutz: „Die Weitergabe von einzelnen Transaktionen wird unterbunden, sodass Reporting für den Händler nur auf Basis von Aggregationen erfolgt“, versichert Scansation-Geschäftsführer Andreas Klett.