Mehr als 40 Jahre war der denkmalgeschützte Klinkerbau an der Ecke Budapester Straße/Alte Krumme an SB-Warenhausbetreiber vermietet: zuerst an Plaza, später an Walmart und zuletzt an Real. Nachdem das Gebäude seit dem Leerstand 2010 zum Politikum geworden war, fällte die Stadt Hamburg die Grundsatzentscheidung, die Rindermarkthalle für einen Zeitraum von 10 Jahren zu verpachten, um die Nahversorgung des stetig wachsenden Stadtteils St. Pauli sicherzustellen.  

Funktional und schnörkellos: Die 500 qm große Obst-und Gemüseabteilung im E-Center (Foto: Rindermarkthalle St. Pauli)

Funktional und schnörkellos: Die 500 qm große Obst-und Gemüseabteilung im E-Center (Foto: Rindermarkthalle St. Pauli)

Den Zuschlag bekam die Edeka Handelsgesellschaft Nord mbH mit der Auflage, ein Konzept zu entwickeln, das die spezifischen Interessen und Besonderheiten der Anwohner berücksichtigt und kleinteilige, günstige Mietflächen für selbständige, regional verwurzelte Händler sowie für soziokulturelle Zwecke zur Verfügung stellt. In den vergangenen zwei Jahren hat Edeka Nord mit einem Gesamtinvest von über 14 Mio. Euro das Gebäude innen aufwendig grundsaniert und alle Innenausbauten umgesetzt. Für die Außensanierung war die Sprinkenhof GmbH zuständig, hier wurden ca. 11 Mio. Euro investiert. Für die Edeka Nord als Hauptpächter und Untervermieter eine eher ungewöhnliche Aufgabe. Die Vertragsdauer von 10 Jahren gilt sowohl für die 3 Grundversorger Edeka, Aldi und Budnikowsky als auch für die Kleingewerbetreibenden, die Waren und Dienstleistungen an festen und variablen Ständen wie auf einem Wochenmarkt anbieten. In den äußeren Bereichen des Erdgeschosses haben sich darüber hinaus Gastronomiebetriebe angesiedelt – keine Fastfood-Ketten, sondern individuelle Betreiberkonzepte. Im ersten Stock werden darüber hinaus 800 qm für soziokulturelle Einrichtungen aus St. Pauli zur Verfügung gestellt. Ab November zählen u.a. ein Kindergarten, ein Theaterprojekt eine Kung-Fu- und eine Nähschule zu den dauerhaften Einrichtungen in der Rindermarkthalle.   

Einkaufen statt Shoppen

Herzstück und Aushängeschild aus Sicht von Edeka Nord ist das neue E-Center mit 4.700 qm Verkaufsfläche. Peter Saur, verantwortlicher Edeka-Projektleiter: „Die besondere Herausforderung bestand darin, die Gestaltung des Marktes organisch in dieses tolle historische Gebäude und die vorgelagerte Markthalle einzupassen und dafür zu sorgen, dass die Kunden bis in den letzten Winkel Spaß beim Einkaufen haben.“ Keine leichte Aufgabe für die Planungsabteilungen der Hamburger Edeka-Zentrale und der Regionalgesellschaft in Neumünster, die dem Markt nach den Vorstellungen der drei Betreiber einen eigenständigen, lokal angepassten Auftritt verpassten.

„Brot und Stulle“ heißt der Frischebäcker. (Foto: Rindermarkthalle St. Pauli)

„Brot und Stulle“ heißt der Frischebäcker. (Foto: Rindermarkthalle St. Pauli)

Bert Meyer, Jörg Meyer und Herwig Holst kennen sich bestens aus mit den Bedürfnissen des Viertels. Holst, ein gestandener Lebensmittelkaufmann mit 40-jähriger Berufserfahrung mit einem weiteren Markt in der Paul-Roosen-Straße, ist so etwas wie das „Gesicht“ von Edeka im Schanzen- und Karolinenviertel: „St. Pauli ist international durch und durch. Wir haben viele Kunden mit Wurzeln in den Mittelmeerländern. Die kennen sich aus mit frischem Gemüse und nutzen ein riesiges Spektrum an Fleisch, Fisch und Gewürzen für das tägliche Kochen, dabei sind sie aber sehr preisbewusst.“ Auch das Familienunternehmen Meyer´s Frischemärkte mit Vater Bert und Sohn Jörg betreibt weitere Standorte im Großraum Hamburg bis hinaus nach Sylt.  

Für die Inhaber des neuen E-Centers galt es, das Konzept auf die lokalen Gegebenheiten zurechtzuschneiden: Einerseits ein Sortiment auf Niedrigpreisniveau (mit ca. 900 Artikeln der Edeka-Eigenmarke „Gut & Günstig“) anzubieten, andererseits auch solche Kunden anzusprechen, die Wert legen auf ein sinnliches Einkaufserlebnis in einem attraktiven, emotional ansprechenden Umfeld. „Dabei verstehen wir uns aber nicht als Feinkostladen“, betont Holst. Um diesen Spagat zu bewältigen zu können, ist vor allem das Wissen um die Besonderheiten des Einzugsgebietes gefragt. Bei der Aufteilung des rechteckigen Flächengrundrisses vertrauten die Kaufleute den bewährten Supermarktprinzipien:

Der „Frischegürtel“ (hier die Fleischabteilung) erstreckt sich auf einer Länge von 54 Metern. (Foto: EHI)

Der „Frischegürtel“ (hier die Fleischabteilung) erstreckt sich auf einer Länge von 54 Metern. (Foto: EHI)

Die mit 500 qm Verkaufsfläche groß dimensionierte Obst- und Gemüseabteilung wurde an den Anfang des Kundenlauf platziert, der „Frischegürtel“ mit 54 lfd. Metern Bedientheke für Fleisch, Wurst, Käse und Frischfisch sowie Salate und Antipasti als Anziehungspunkt an der Kopfseite, das Trockensortiment in der Marktmitte und die Tiefkühlkostabteilung in der Nähe zum Checkout. Eine Besonderheit ist die ebenfalls groß dimensionierte Abteilung für alkoholfreie Getränke und Bier (650 qm). Viel Raum wurden auch dem Leergutlager und der Leergutannahme (zusammen 430 qm) zugestanden, die mit vier Rückgabeautomaten als „Front End“ das hohe Aufkommen von leeren Getränkeverpackungen logistisch bewältigen soll. „Bei uns sind Leergutsammler ausdrücklich willkommen“, erklärt Herwig Holst. 

Neben der großen Frischfischabteilung – trotz der Nähe zum Meer eine Seltenheit in Hamburger Edeka-Märkten – zählen eine Frischeinsel mit Backshop und Molkereiprodukten sowie die außerordentlich große Gewürzabteilung zu den Besonderheiten des Marktes. Mit seiner offenen Industriearchitektur gibt sich das E-Center als Ganzes sachlich-funktional und schnörkellos, ohne Nischen, Ecken und Kanten. Regalhöhen von 1,60 Metern eröffnen den meisten Kunden den Weitblick auf die Magnetabteilungen, die auch wegen der  große Typografien an den Rückwänden nicht zu verfehlen sind. Die Schrägen und Blenden der Verkaufsmöbel und Gondeln sind mit kunststoffbeschichteten Spanplatten in Holzoptik eingehaust. Zum Factory-Look passt der neu eingegossene, graue Sichtbetonboden ebenso wie die offenen Decken mit sichtbaren Versorgungsleitungen. Ausgeleuchtet wird der Markt zu 100 Prozent mit LED-Strahlern.

Die Wirtschaftlichkeit angesichts der hohen Investition in diesem Zeitraum sicherzustellen, sei eine große Herausforderung, bemerkte Carsten Koch, Geschäftsführer der Edeka Handelsgesellschaft Nord, in seiner Eröffnungsansprache. Ob es nur bei einer Zwischennutzung bleibt oder auf ein dauerhaftes Engagement hinausläuft, hängt vor allem davon ab, wie die überdachte „Markthalle“ im Zentrum der Rindermarkthalle künftig angenommen wird.

Fotos: EHI (1), Rindermarkthalle St. Pauli (3)

Weitere Informationen: www.rindermarkthalle-stpauli.de 

Rindermarkthalle St. Pauli

Eröffnung: 18.09.2014

Adresse: Neuer Kamp 1, 20953 Hamburg

Inhaber: Sprinkenhof GmbH/Stadt Hamburg

Konzept und Ausgestaltung: Maßmann & Co. Handelsimmobilien GmbH

Konzeption und Planung „Markthalle“: Interstore Design (Schweitzer Project)

Hauptpächter: Edeka Handelsgesellschaft Nord mbH

Grundfläche: 14.750 qm

Ladenbau „E center St. Pauli“: Aichinger (Bedienungstheken), Ansorg (Beleuchtung), Carrier (Kühlmöbel), ITAB (Kassentische), Linde Ladenbau (Systeme für Trockensortiment), Lohrengel (individueller Ladenbau und Sondermöbel)