Grand Magasin Éphémère

2-4 Blvd Marguerite de Rochechouart
75018 Paris
Frankreich

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Grand Magasin Éphémère

2-4 Blvd Marguerite de Rochechouart
75018 Paris
Frankreich

Was tun mit geschlossenen Kaufhäusern? Diese Frage stellt sich in vielen Städten. Eine erneute Nutzung dieser mehrstöckigen Immobilien ist meist mit hohen Investitionen verbunden. Oft bleiben die Gebäude deshalb über Jahre hinweg verwaist und verkommen peu à peu zu Ruinen in bester Lage. Ein Beispiel aus Paris zeigt nun, wie es anders gehen kann. Im früheren Stammhaus des Discounters Tati entstand ein Concept-Store mit angeschlossenem Kultur- und Jugendzentrum. Die Idee stammt von Youssouf Fofana, Co-Gründer des erfolgreichen Streetwear-Labels Maison Château Rouge und Multientrepreneur. Der Franzose mit senegalesischem Immigrationshintergrund übernahm den Gebäudekomplex im Pariser Brennpunktviertel Barbès, just gegenüber der gleichnamigen Métrostation, Ende 2022. Da stand die Immobilie, die mehrere Häuser umfasst, bereits seit einem Jahr leer.

Unter dem Namen „Matières premières“ bietet das Übergangskaufhaus im zweiten Stock eine Abteilung mit raren Designermarken

Unter dem Namen „Matières premières“ bietet das Übergangskaufhaus im zweiten Stock eine Abteilung mit raren Designermarken
Foto: Barbara Markert

Die Räume im Erdgeschoss und in den ersten zwei Stockwerken wurden entkernt und in einem urigen Baustellen-Look belassen – bestehend aus dem Original-Marmorboden, nackten Metall-Stützpfeilern, roh verputzen Wänden und Decken, die überzogen sind von einem grauen Isolierschaum. Finanziert wurde die erste Umgestaltung mithilfe einer Markenkooperation: Nike, beziehungsweise die vom Basketball geprägte Marke Jordan, lancierte zusammen mit Fofana ein zeitlich begrenztes Projekt aus Pop-up-Boutique und Basketball- Events im Vorfeld und während der Olympischen Spiele 2024 in Paris. Im Januar 2025 folgte dann die Anschlussnutzung als „Le grand magasin éphémère“, zu Deutsch: das temporäre Kaufhaus, das an die frühere Nutzung des Tati- Gebäudes erinnert.

Aufstieg und Fall

Das Handelsunternehmen Tati erlebte in seinen frühen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen fulminanten Aufstieg. Nach dem Tod des Firmengründers Jules Ouaki und den darauffolgenden Erbstreitigkeiten, ideenlosen Übernahmen und wegen Missmanagement endete das Unternehmen im Konkurs. Dabei war Tati einst Kult. Ganz Paris ging im Kaufhaus mit dem berühmten rosafarbenen Vichy-Muster auf Schnäppchensuche. Der Durchschnittspreis im Sortiment bewegte sich bei fünf Euro. Die Waren, präsentiert an unzähligen, eng an eng gestellten Wühltischen und Drehstangen, kam aus Nordafrika, Asien, dem Pariser Kopistenzentrum Sentier, aber auch aus unverkauften Lagerbeständen von Markenanbietern. Auf dem Zenit der Firmenhistorie unterhielt Tati über 100 Filialen in ganz Frankreich und im Ausland: Es gab sogar ein Geschäft auf der Fifth Avenue in New York. 1991 gestaltete der berühmte Modedesigner Azzedine Alaïa aus dem kultigen rosa Tati-Markenmuster eine Capsule-Kollektion, die dank Supermodels wie Naomi Campbell und Christy Turlington weltweit berühmt wurde.

Der ehemalige Kaufhauskomplex erstreckte sich zeitweise über sechs Gebäude

Der ehemalige Kaufhauskomplex erstreckte sich zeitweise über sechs Gebäude
Foto: Barbara Markert

Das Flagship am Boulevard Barbès galt damals als die zweitwichtigste Touristenattraktion des 18. Arrondissements nach dem Sacré-Coeur. Auch Youssouf Fofana, der in einer Randzone von Paris aufwuchs, ging als Kind bei Tati shoppen. „Zum Schulbeginn oder für Hochzeiten in der Familie nahm mich mein Vater mit zu Tati, um mir Kleider zu kaufen. Dieses Geschäft hat es immer geschafft, Menschen aller Generationen und aller sozialen Schichten anzusprechen. Das Gebäude ist ein Mythos, angefüllt mit den Erinnerungen der Pariser.“

Im ersten Stock befindet sich ein öffentlicher Raum mit Wechselausstellungen, hier mit Fotografien von Seydou Keïta und Malik Sidibé

Im ersten Stock befindet sich ein öffentlicher Raum mit Wechselausstellungen, hier mit Fotografien von Seydou Keïta und Malik Sidibé
Foto: Barbara Markert

Am Haupthaus, einem prachtvollen sechsstöckigen Baron- Haussmann-Schmuckstück, prangt noch immer hoch über dem Zinkdach der Tati-Slogan „les plus bas prix“, der die günstigsten Preise verspricht. Im Erdgeschoss ist nun die „Union de la Jeunesse international“ eingezogen. Ein international tätiges Jugend-NGO? Nein, eine von Fofana selbst gegründete Initiative mit dem Ziel, einen Ort zu schaffen, wo sich die Jugend ohne Eintritt und Verpflichtungen zusammenfinden kann. Auch wenn Fofana hier ganz allgemein von der Jugend spricht, so ist der Hintergrund des Projekts den Problemen des Viertels geschuldet. Barbès ist bekannt für eine wechselhafte Immigrations-Historie: Während des Krieges galt das Viertel als Auffangbecken für geflüchtete Juden aus Osteuropa. In der Nachkriegszeit ließen sich dann die Einwanderer aus dem Maghreb hier nieder, später die Immigranten aus Schwarzafrika. Bis heute ist die Arbeitslosenquote der jungen Bevölkerung in Barbès eine der höchsten in Paris. 38 Prozent der Einwohner:innen leben unter der Armutsgrenze.

Kunst- und Kulturzentrum

In einem der Nebengebäude ist ein Pop-up für Street- und Urbanwear eingezogen

In einem der Nebengebäude ist ein Pop-up für Street- und Urbanwear eingezogen
Foto: Barbara Markert

Youssouf Fofana: „Wir haben im Vorfeld lange darüber nachgedacht, wie wir dieses Viertel zum Leben erwecken können, welche lokalen Akteure wir einbinden und welches Programm wir anbieten. Ziel ist es, jungen Menschen Zugang zu sportbezogenen Einrichtungen zu verschaffen und an die Kultur heranzuführen.“ So wurden Basketball-Wettbewerbe ins Leben gerufen und in das erste Stockwerk sind ein Atelier-Bereich mit Werkbänken und Nähmaschinen eingezogen, in denen regelmäßig Workshops zu den Themen Nähen, Färben, Designen und Sticken angeboten werden. Daneben befindet sich die „Galerie public“, eine öffentliche Kunstgalerie, in der regelmäßig Foto- und Kunstpräsentationen angeboten werden. Auch hier ist der Eintritt frei. Im zweiten Geschoss des Kaufhauses und auf den Ladenflächen im Nebengebäude werden Mode, Accessoires und Dekoartikel angeboten. Bodenbeläge aus vergangenen Zeiten, Restmetall und Gipsplatten dienen als Warenpräsenter oder Tische. Das Sortiment wird von kleinen, oft handwerklich hergestellten Marken bestimmt.

Bunt gemischtes Publikum

Im Erdgeschoss der „Union de la Jeunesse international“ gibt es ein Café, eine Bibliothek und einen Musik-Corner für die Jugend des Viertels

Im Erdgeschoss der „Union de la Jeunesse international“ gibt es ein Café, eine Bibliothek und einen Musik-Corner für die Jugend des Viertels
Foto: Barbara Markert

Keines der zahlreich vertretenen Labels bewegt sich in der Preisklasse des ehemaligen Discountkaufhauses. Eher im Gegenteil. Das Angebot ist exklusiv und cool, aber eben auch teuer. Doch auch das ist wohl Teil der Strategie: Die außergewöhnliche Markenauswahl und der Baustellencharme des Konzept-Stores ziehen ein Publikum an, das ohne diese Merkmale einen großen Bogen um Barbès machen würde. So wie einst die gut begüterten Schnäppchenjäger bei Tati nach Designermode aus Restbeständen suchten, so trifft sich heute am gleichen Ort ein bunt gemischtes Publikum, das aus ganz unterschiedlichen Beweggründen ins „grand magasin éphemère“ kommt.

Wie lange das temporäre Kaufhaus noch bestehen bleiben kann, ist zurzeit noch unklar. Fofana beruft sich auf eine Zusage des belgischen Immobilien-Projektentwicklers Immobel, das Haus bis Juni dieses Jahres nutzen zu können. Die Gruppe, die den Gebäudekomplex 2021 erwarb, hatte im Rahmen des städtischen Projektes „Réinventer Paris“ (Paris neu erfinden) den Auftrag, „die Gebäude von Tati Barbès in 8.000 qm Wohn-, Geschäfts- und Büroflächen umzuwandeln, ohne diesen symbolträchtigen Ort zu verfälschen“. Unter Aufsicht der Baubehörde wurde daraufhin ein Plan eingereicht, der eine Umwandlung in 30 Wohnungen, 1.000 qm Ladenfläche, in ein Hotel mit 15 Zimmern und in eine kulturelle Einrichtung mit Veranstaltungssaal vorsah.

Die Baumaßnahmen sollten ursprünglich Ende 2024 abgeschlossen sein, doch passiert ist bislang wenig. Erst jetzt beginnen an den leer stehenden Nebengebäuden die ersten Fassadenrenovierungen. Youssouf Fofana zuckt mit den Achseln auf die Frage, ob sein ambitioniertes Projekt über den Sommer hinaus zumindest teilweise weiterbestehen kann. Für das Viertel wäre das zweifellos ein Gewinn.