Auf dem Hallenboden eine Ansammlung gelber Regaltürme,die sich wie Ameisen hin- und herbewegen. Ihre Behändigkeit verdanken die Warenträger im Erfurter Amazon-Lager aber nicht ihren sechs schnellen Beinen, sondern den radgetriebenen flachen Transportrobotern, auf denen sie stehen. Diese sind nicht nur flink wie die Ameisen, sondern können wie diese auch ein Vielfaches ihres eigenen Gewichtsschleppen: mehr als 500 kg. Deshalb tragen sie bei Amazon auch den Namen „Hercules“. Tausende davon sind im 2024 eröffneten Erfurter Logistikzentrum im Einsatz, gleiten unter die Regale und setzen sie in Bewegung. „Das erleichtert unseren Kolleg:innen die Arbeit enorm, denn jetzt kommt das Regal mit der Ware direkt zu ihren Arbeitsstationen. Weite Laufwege entfallen“, beschreibt Amazon den Nutzen.

Automatischer Transport im Amazon-Lager. Weltweit hat der Onlinehändler fast 800.000 Roboter im Einsatz
Foto: Amazon
Roboter mit Gefühl
Weltweit hat der Onlinehändler fast 800.000 Roboter im Einsatz. Mittlerweile hat Amazon rund um die Roboter völlig neue Berufsgruppen geschaffen,vom Robotics-Floor-Monitor über den Wartungstechniker vor Ort bis hin zum Ingenieur. Die jüngste Errungenschaft ist „Vulcan“, ein in jahrelanger Arbeit von Amazon-Technikern selbst entwickelter Roboter „mit Gefühl“ und jeder Menge spezifischer KI-gesteuerter Fähigkeiten. Kurz gesagt: Mit seiner trainierten Hand kann der Roboter Millionen von unterschiedlichen Gegenständen vorsichtig greifen, ein weiteres Werkzeug verschiebt Kartons und Beutel aller Formen und Größen im Hochregal, und ein Stereo-Vision-System schätzt den verfügbaren Platz in einem Behälter. „Vulcan“ lernt aus seinen eigenen Fehlern, findet heraus, wie sich verschiedene Objekte bei Berührung verhalten und baut laut Amazon „nach und nach ein Verständnis für die physische Welt auf – genau wie Kinder“.
Deutliche Arbeitserleichterung
Roboter können in den Lagern also mittlerweile viel mehr als nur Lasten schleppen oder Paletten beladen. Das zeigen viele innovative Projekte. Der von verschiedenen Logistikern eingesetzte Roboter „Stretch“ von Boston Dynamics zum Beispiel kann bis zu 700 Kartons pro Stunde entladen. Laut DHL verbessert er die Mitarbeiterzufriedenheit erheblich, da körperlich anstrengende Arbeiten in Lkw-Anhängern, die im Sommer heiß und im Winter kalt sind, verringert werden. Wie andere Logistikunternehmen auch, setzt DHL auf langfristig angelegte Partnerschaften mit der Roboterindustrie, um integrierte Automatisierungslösungen voranzutreiben – Förderbänder, Palettierer und das Kommissionieren von Kartons – die arbeitsintensivste Tätigkeit bei DHL Supply Chain – eingeschlossen.
In den vergangenen drei Jahren hat die DHL Group über eine Milliarde Euro in die Automatisierung ihrer Kontraktlogistik-Sparte investiert. So waren bereits vor der Entscheidung für Stretch-Roboter an internationalen DHL-Standorten hunderte Assisted-Picking-Roboter der strategischen Partner Locus Robotics und sechs „River Systems“ in Betrieb. Mittlerweile setzt die Gruppe über 7.500 Roboter ein. Tim Tetzlaff, Global Head of Accelerated Digitalisation bei DHL Supply Chain: „Bei DHL gestalten wir die nächste Welle der Automatisierung – nicht mit einer Standardlösung, sondern mit intelligenten, anpassungsfähigen Technologien, die auf die spezifischen Anforderungen einzelner Branchen zugeschnitten sind.“

Hohe Präzision und ein sanfter, geräuschloser Antrieb: Autonomer mobiler Roboter von ABB
Foto: ABB
Dachser arbeitet in seinen Lagern – weltweit 163 Standorte mit 3,1 Mio. Palettenstellplätzen – je nach Kundenanforderung mit unterschiedlichen Lösungen. Für Unterstützung bei Routinetätigkeiten und mehr Flexibilität im Lager sorgen beispielsweise kollaborative Roboter („Cobots“), die Seite an Seite mit den Mitarbeitenden agieren. Dachser setzt diese „verlässliche Technologie“ vornehmlich für Value-Added-Services in der Lebensmittellogistik ein. Auch mobile Roboter werden zunehmend in den Warehouses eingesetzt. Die fahrerlosen Transportsysteme suchen sich ihren eigenen Weg im Lager, um Paletten ebenerdig ein- und auszulagern. „Präzise Navigation, Schwarmintelligenz und eine nahtlose Integration in die IT-Systeme sorgen für ein deutliches Effizienzplus im Logistikalltag“, so die Erfahrung von Dachser.
Der Logistikdienstleister Hermes Fulfilment hat in seinem Logistikzentrum Löhne im Juni 2025 die ersten autonomen mobilen Roboter (AMR) in Betrieb genommen. Sie übernehmen in dem insgesamt 100.000 qm großen Betrieb die Beförderung von Großpaletten mit kommissionierter Ware. „Damit entlasten wir unsere Mitarbeitenden und heben die Effizienz unserer Logistikprozesse auf ein neues Level“, sagt Thomas Saltenbrock, Betriebsleiter in Löhne. Spezialisiert ist der Standort in Nordrhein-Westfalen auf die Abwicklung des großvolumigen Sortiments mit einem Gewicht von mehr als 31,5 kg, vor allem Möbel und Elektrogroßgeräte. Die neuen AMR des österreichischen Herstellers Melkus Mechatronic können bis zu 1.200 kg Nutzlast transportieren, bewegen sich autonom und navigieren mithilfe von Laserscannern. „Mit dem Einsatz der AMR schaffen wir im Logistikbereich ein modernes, motivierendes Arbeitsumfeld mit Zukunftsperspektive. Das ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, des spürbaren Arbeitskräftemangels und des steigenden Renteneintrittsalters ein wichtiger Faktor“, betont Saltenbrock. Nach Abschluss der Pilotphase in Löhne wird die Roboterlösung auch bei Hermes Fulfilment im fränkischen Ansbach eingeführt.
Autonome Robotikflotten
Seitdem die Otto Group im September 2024 in Europa den ersten Entladeroboter„Stretch“ von Boston Dynamics implementiert hat, schreitet die Entwicklung auch hier mit Siebenmeilenstiefeln voran. Mit der Erkenntnis, dass Robotics- und KI-Lösungen „hohe Effizienzsteigerungen“ bringen, wird ihr Einsatz in Kooperation mit den Systemanbietern über alle Standorte ausgebaut und um neue Anwendungen erweitert. Mit den autonomen Robotern „Spot“, „Stretch“ und „Atlas“ von Boston Dynamics werden beispielsweise neue stationäre Pick- und Packlösungen entwickelt. Bereits ab 2026 sind autonome Robotikflotten das Ziel: mit einer 24/7-Produktionsbereitschaft und flexibler Nutzung innerhalb und zwischen den Standorten. Von der Vernetzung und Verbindung aller Initiativen sowie der Standardisierung der Lösungen verspricht sich das Unternehmen „letztendlich eine höhere Kundenzufriedenheit durch schnelleres und stabileres Fulfilment“.

Autonomer mobiler Roboter im Hermes-Logistikzentrum Löhne
Foto: Hermes Fulfilment
Die Hersteller machen ihre Logistikroboter ebenfalls für neue Großtaten fit. ABB beispielsweise sieht nicht weniger als eine „neue Ära der autonomen vielseitigen Robotik“ aufziehen. So setzt der „AMR Flexley Mover P603“ mit einer Präzision von fünf Millimetern, einem sanften, geräuschlosen Antriebssystem und einer Traglast von bis zu 1.500 kg neue Maßstäbe in puncto Präzision. Er unterstützt eine Vielzahl von Lasttypen und -abmessungen einschließlich offener und geschlossener Paletten, Containern, Racks und Trolleys,die alle mit einem einzigen AMR und flexibel konfigurierbaren Aufsatzmodulen bewältigt werden können. Hinzu kommen neue Steuerungsplattformen und Assyst-Lösungen (Active Service System) rund um die Robotik. „Wir befinden uns an einem Wendepunkt für die KI und Industrierobotik“, sagt Marc Segura, Leiter der Robotics-Division von ABB. In den vergangenen zehn Jahren habe man Robotern durch KI-gestützte 3D-Vision-Technologie Augen, durch fortschrittliche Kraftsensoren und präzise Steuerung Hände und durch autonome Navigation Mobilität verliehen. Segura:„Jetzt ist es an der der Zeit, diese Fähigkeiten zu kombinieren und einen Schritt weiterzugehen.“

