Wohnzimmer-Feeling am POS | stores+shops

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Der Kamin im Modehaus Mohr, Dollern, strahlt Gemütlichkeit aus und sorgt dafür, dass der Alltag von Kunden spätestens beim Betreten des Stores entschleunigt wird.

Wohnzimmer-Feeling am POS

Mit Wohnzimmer-Atmosphäre versucht der stationäre Handel, die Kunden hinterm Ofen – oder besser gesagt hinterm Computer hervorzulocken. Woher rührt dieser Trend? Was macht ihn aus? Für welche Sortimente ist er relevant? Und: Wie lange wird er dauern?

Seit geraumer Zeit inszenieren, insbesondere im Fashion-Bereich, viele Ladeneinrichtungen behagliche Wohn-Atmosphäre. (Virtuelle) Kamine, Teppiche, Ledersessel, Polstersofas und viele gerahmte Bilder sind typische „Stimmungsmacher“. Aus Sicht von Karl Schwitzke, Geschäftsführender Gesellschafter des Düsseldorfer Design- und Architekturbüros Schwitzke & Partner, ist der Trend nicht neu: „Schon vor 25 Jahren gab es Beispiele im Premium- und Luxus-Segment“, erinnert der Experte und verweist u.a. auf die Stadtvilla, die Polo Ralph Lauren damals in seinem New Yorker Flagshipstore nachbildete. Ein Konzept, das im Großen und Ganzen bis heute Bestand hat.

Wunderhaus in Köln: ein trendiges, „loftiges“ Konzept mit wohnlichen Elementen

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Neu ist, wie weit sich der Trend der wohnlichen Ladengestaltung aktuell im Einzelhandel ver-
breitet. „Die Konsumenten haben eine große Sehnsucht nach Geborgenheit, nach sozialen Bindungen und Vertrauen. In ihrer Arbeitswelt geht es oft hart und kalt zu, hier wird oftmals nur noch die rationale Seite angesprochen, Emotionalität kommt zu kurz“, analysiert Manfred Knappe, Geschäftsführer der Knappe Innen-
architekten aus Marbach, den Trend. „Die Digitalisierung des Lebens und zunehmende Mobilität wecken das Bedürfnis nach Entschleunigung, Wärme, Wohlfühlen. Die Stärke dieses Design-Ansatzes liegt somit in der Befriedigung menschlicher Ur-Instinkte“, meint Nicole Lepper, Geschäftsleitung bei Moysig Retail Design in Herford. „Der naheliegende Ansatz: Zu Hause fühlt sich der Kunde wohl, also gestalten wir den Laden wie eine Wohnung“, bringt es Jochen M. Messerschmid, Geschäftsführer der MAI Messerschmid Architekten und Innenarchitekten, Stuttgart, auf den Punkt.

Entschleunigung

Der mehrfach preisgekrönte „Esprit Lighthouse Store“ in Köln mit perfekt umgesetztem Loft-Konzept

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Doch ganz so einfach ist es nicht, muss Messer-
schmid einräumen und ergänzt: „Einfach ein paar Wohnzimmer-Möbel in den Store zu stellen, einen schönen Teppich drunter und eine Stehlampe dazu – das wäre nichts weiter als unverstandenes Kopieren. Es geht um viel mehr: Zu Hause duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee, nach selbst gebackenem Kuchen, Omas Standuhr tickt laut, die Blumen auf dem Couchtisch bringen den Frühling ins Haus, die kleine Schwester lümmelt auf dem Sofa, mit Kopfhörern, aus denen Hip-Hop wummert. Diese Atmosphäre muss – im übertragenen Sinn – im Store geschaffen werden.“ Messerschmid interpretiert den Trend weitläufig und möchte daher auch lieber von Wohlfühl- als von Wohnzimmer-Ambiente sprechen.

Verena Wamser, Mitinhaberin des Konzeptbüros Reich und Wamser, Düsseldorf, sieht dies ähn-
lich: „Mit den Stimmungs- und Erlebniswelten antworten Handel und Markenindustrie auf den Wunsch der Verbraucher nach einer intimen Wohlfühlqualität, die ganz klar die Besucher in den Mittelpunkt rückt. Diese fühlen sich im Idealfall wie zu Gast bei einem Freund. Der Freund ist hier die Marke, und so, wie jeder Mensch anders ist, hat eben auch jedes Label eine individuelle Persönlichkeit. Die besten Chancen, mit einer Wohn-Atmosphäre dauerhaft up-to-date zu sein, haben unseres Erachtens jene Brands, die mutig zu ihrem eigenen Image stehen und dieses in der Gestaltung klar transportieren.“ Verena Wamser meint: „Der Trend zur Wohnzimmer-Atmosphäre wird in naher Zukunft wahrscheinlich nachlassen. Der einfache Grund dafür ist, dass man sich wenig abhebt, wenn es fast alle so machen.“

Der viel gelobte Sport Scheck in Berlin punktet mit Luxus-Almhütten-Atmosphäre

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Auch Manfred Knappe erwartet künftig eine „viel größere Detaillierung des Themas. Der Kunde als Individualist möchte entsprechend individuell angesprochen werden.“ Bei Sport Scheck in Berlin schufen die Knappe Innenarchitekten beispielsweise ein Berghütten-Ambiente, kombiniert mit modernster IT. LED-Bildschirme ahmen Fenster nach, vor denen scheinbar gerade Skiläufer den Berg hinabfahren, ein Steinbock eine Bergspitze erklimmt oder die Sonne grandios untergeht. Reich und Wamser kreierten für den Esprit Lighthouse Store in Köln ein Atelier-Loft, was die Bandbreite der möglichen Umsetzung deutlich macht. Hohe Räume, Betonoberflächen und Putzanstrich kontrastieren mit wohnlicher Möblierung in sattbraunem Nussbaum, weichen Stoffen im Umkleide-Bereich und sanfter Lichtstimmung. Highlight des Kölner Esprit-Stores ist ein Wintergarten mitten im Laden, der ein Stück künstlerisch-freies, ungezwungenes, junges Leben evoziert.

Vom Flohmarkt

Auch Moysig Retail Design variiert das Thema entsprechend seinem Auftraggeber: hochwertig, ja elitär für Wunderhaus in Köln, jung und aufwändig für Kosfeld in Herford. Für Kosfeld wurden Möbel und Deko-Artikel im Stil der 60er- und 70er-Jahre aus Antiquitätengeschäften und von Flohmärkten zusammengetragen. Einen reduzierten, klassischen Stil entwickelte Moysig für das rolloutfähige Storedesign der Damenmoden-Marke Gelco.

Der polnische Fashion-Händler Answear bietet Aufenthaltsqualität

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„Menschen richten sich ja auch unterschiedlich ein, insofern gibt es viele Spielmöglichkeiten“, sagt Karl Schwitzke, der das kreative Potenzial des Wohnzimmer-Trends noch längst nicht ausgeschöpft sieht. Nicole Lepper von Moysig Retail Design glaubt: „Der Trend an sich wird bleiben, aber er wird anders umgesetzt werden: zum Beispiel mit weniger echter Dekoration, abstrahierter, vereinfachter Formensprache, mit mehr lokalen Bezügen und der Integration von digitalen Medien, die eine Traumwelt schaffen. Vor allem wird die Entwicklung, die im Fashion-Bereich ihren Ursprung hat, wohl jetzt noch stärker auf andere Sortimente übertragen: Schuhe, Bücher, Home-Stores, Food.“ Jochen M. Messerschmid meint dazu: „Theoretisch ist eine Wohn-Atmosphäre für alle Sortimentsbereiche denkbar – es kommt auf die Umsetzung des Gedankens an.“

Der von Schwitzke & Partner gestaltete Douglas-Store auf der Düsseldorfer Kö ist wie in einzelne Räume gegliedert. „Man kann nicht mehr vom Eingang aus die ganze Fläche überblicken“, sagt Karl Schwitzke und spielt auf eine lange ausgeprägte Hemmung des Handels an: „Früher hatte man Angst, dass die Diebstahlquote steigt, wenn der Store nicht überschaubar genug ist.“

Der Douglas-Store an der Düsseldorfer Kö lädt zum Verweilen ein und integriert elektronische Medien in den Sitzbereich

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Das hat sich inzwischen gelegt. Formate wie Abercrombie & Fitch oder Hollister, bei denen sogar die Beleuchtung zurückgefahren ist, haben mit gängigen Regeln gebrochen. Verschiedene Räume sind für die Kunden spannender, sie können stöbern und auf Entdeckungsreise gehen, die Verweildauer steigt“, ist Schwitzke überzeugt und führt weitere Vorteile auf: „Diese Präsentationsform bringt auch mehr Wandfläche, damit kann die Warendichte erhöht werden, ohne dass sie zu dicht wirkt. Der Handel kann ‚Wahrnehmungs-Pakete‘ schnüren, auf die sich der Kunde besser konzentrieren kann und diese auf einzelne Themen zuspitzen. Zudem lassen sich durch verschiedene Räume sehr gut Produkt-Segmente differenzieren. Wir müssen Läden heute wesentlich spannender inszenieren. Für den Zielkauf ist das Internet da. Stationäre Stores müssen Inspiration, Information und gute Beratung bieten.“

Fotos: MAI Messerschmid (1), Moysig (1), Reich und Wamser (1), Knappe (1), Schwitzke (2)

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