Der Wettbewerb mit dem Onlinehandel sorgt im stationären Retail für eine wachsende Bedeutung von Schaufenstergestaltung und Warenpräsentation. „Es wird künftig mehr ‚Theater‘ und noch mehr Kreativität in den Einkaufsstraßen und Shopping-Centern zu sehen sein.“ So die Prognose von Michael Scheithauer, Geschäftsführer von Barthelmess, Fürth, einer der Marktführer in Europa für Visual-Merchandising-Lösungen. Der Experte verweist in diesem Zusammenhang auf Aktivitäten international agierender Großfilialisten, die sich in Sachen Visual Merchandising zum Teil komplett neu aufstellen.
Unsere Kreativteams beobachten Entwicklungen in Kunst, Kultur und Lifestyle.
Michael Scheithauer
Das hat auch Konsequenzen für Anbieter wie Barthelmess. Die Umsetzung von Visual-Merchandising-Projekten bei Großfilialisten erfordert mehr als Beschaffung, Produktion und Lieferung von attraktivem Deko-Material. „Wer sich als Lieferant in diesem Marktsegment bewegt, muss seine Auftraggeber ganzheitlich bedienen“, berichtet Scheithauer. „Das bedeutet eine komplexe Organisation, die die Bereiche Trendscouting und Trendberatung, Konzeption, Design, Prototyping, Produktion, Beschaffung sowie Logistik und Services inklusive Installation, Einlagerung, Restauration auch zeitlich exakt aufeinander abstimmt.“
Beispiel Trendscouting: Für das 1929 als Werkstatt für Dekoration und Ladenbau gegründete Unternehmen Barthelmess sind heutzutage Kreativteams und Key Account Manager in den Metropolen der Welt unterwegs, „nicht nur, um sich von gut gestalteten Schaufenstern inspirieren zu lassen, sondern auch, um Entwicklungen in Kunst, Kultur und Lifestyle zu erfassen“, beschreibt Scheithauer die Lage.
Diese Erkenntnisse fließen in die Arbeit für Kunden wie Manor, Marks & Spencer, C&A, Laurèl, Hallhuber, Reno oder Deichmann ein. So komplex wie die Aufgabenstellung ist dabei auch die Kommunikation mit den Verantwortlichen. „Ziel muss es sein, in einer permanenten, vertrauensvollen und offenen Kommunikation mit dem Kunden, diesen, seine Ideen und Rahmenbedingungen zu verstehen“, so Scheithauer. „Klar ist, dass von einem Anbieter der Größenordnung von Barthelmess ein Höchstmaß an Flexibilität, Material-Know-how, exzellentes Beschaffungs- und Qualitätsmanagement sowie die richtigen Bedingungen für Kommissionierung und Logistik erwartet werden.“ Ein Projektmanagement überwacht und steuert all diese Vorgänge. Eine Schlüsselrolle für Barthelmess spielt dabei die exakte Kommissionierung für jedes einzelne Fenster der Filialen des Auftraggebers.
Lange Wege – kurze Lieferzeiten
Hinzu kommt, so Michael Scheithauer, das Problem der „Zeitschienen“: Je später die Entscheidungen auf Kundenseite fallen, umso größer die Herausforderung für Barthelmess als Umsetzer, zumal bei Fertigung in Fernost ein Schifftransport von 4-6 Wochen einkalkuliert werden muss. Doch genau eine solche Flexibilität – auch und gerade bei Großprojekten – sei es, mit der man als Anbieter bei den Kunden aus dem Handel punkten könne.
Dabei kann das Briefing der Auftraggeber zu Beginn eines Projektes sehr unterschiedlich ausfallen: „Während wir bei einigen Kunden zunächst mit Materialien experimentieren und dann unsere Vorschläge unterbreiten, bekommen wir von anderen Auftraggebern lediglich Stimmungsbilder als Anregung, auf die hin wir kurzfristig die Konzeption der gesamten Schaufenster- und Ladeninszenierung entwickeln“, erklärt Scheithauer die Vorgehensweise. Bei der Materialwahl agieren Designer, Projektmanager, Materialspezialisten und Produktion gemeinsam. Sie müssen dabei Qualitätsanforderungen, Kosten, Verarbeitungsmöglichkeiten und Recyclingfähigkeit berücksichtigen.
Dimension und Volumen eines Großprojektes beschreiben nachfolgende Zahlen, die sich auf einen Auftrag eines britischen Barthelmess-Kunden beziehen:
- 14 Wochen von der Bestellung bis zur Implementierung
- 24 Fertigungsstandorte weltweit
- 41 Endprodukte
- 700 Mitarbeiter weltweit
- 35.165 Verpackungseinheiten
- 295.959 gefertigte Halb- und Fertigteile
- 470.400 Arbeitsstunden
- 1.532.889 durchgeführte Arbeitsgänge wie Lasern, Fräsen, Drucken etc.
Dazu Scheithauer: „Projekte jeder Größenordnung werden nach Durchführung gemeinsam mit dem Kunden analysiert, um Optimierungspotenzial für Folgeprojekte zu dokumentieren.“
Fotos (2): Barthelmess
Case Study: Visual Merchandising bei C&A
Der Bekleidungsfilialist C&A agiert in 21 Ländern und steuert gegenwärtig rund 1.500 Filialen mit 4.000 Schaufenstern, deren Front sich auf eine Länge von 16 km addiert.
Hermann Jörg, verantwortlich für das Visual Merchandising von C&A in Europa, nennt das Marketinginstrument Schaufenster einen „Key Driver“ für die Wahrnehmung der Marke am Standort. Entscheidend für verkaufsstarke Schaufenster sei eine „erfolgreiche Synthese von Design, Qualität und Funktion, eingebettet in den Saisonkalender und verknüpft mit den anderen Medien sowie eine klare Botschaft und ein roter Faden durch alle Fenster“, so Jörg auf der EHI Retail Design Konferenz im September in Düsseldorf.
Am Beispiel einer Jeans-Kampagne erläuterte der Fachmann Details der Vorgehensweise: Start der Planungsphase war Ende Januar 2013. Im März wurde nach Tests von Material und Raumwirkung erstmals das fertige Designkonzept komplett montiert „als Entscheidungsgrundlage für die Serienfertigung“. Anschließend wurde das Konzept an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst und die Firma Barthelmess mit der Produktion und Lieferung beauftragt. Produktionsbeginn war der 15. Mai 2013. „Die Herausforderung besteht in diesen Situationen in unterschiedlichen Lieferterminen, zu denen die komplette Produktpalette zur Verfügung stehen muss“, erläutert Jörg.
Die insgesamt 40.000 Einzelartikel wurden letztlich auf 2.200 Paletten in 120 Lkw zugestellt. Ende Juni baute C&A einen Trainings-Store zur Schulung der Deko-Teams auf. Ein Handbuch gibt anschließend den Filialmitarbeitern exakt die Präsentationsregeln vor. Bei einem Mystery Shopping vor Ort wird während der laufenden Kampagne der Umsetzungsgrad überprüft. Jörg: „So etwas ist die Basis für Gespräche über Qualitätsverbesserungen vor Ort in den Filialen.“