Funktioniert eine Neuausrichtung der Business-IT mit rationalen Argumenten? Oliver Tackmann, Managing Director Corp. Organisation, IT & Processes bei der Obi Group Holding, meint: „Menschen behalten nur 10 Prozent von dem, was sie lesen, 20 Prozent von dem, was sie hören – aber 90 Prozent von dem, was sie selbst erleben.“ Deshalb setze man bei Obi auf ein neues BYOD-Konzept. BYOD (Bring your own Device) bedeutet, dass Mitarbeiter ihr vorhandenes privates Endgerät (Smartphone, Tablet-PC etc.) auch für berufliche Aufgaben einsetzen können.
„Ein cleveres Business-IT-Alignment nutzt unterschiedliche Überzeugungsebenen“, so Tackmann. Erstens die bewusste Ebene mit einer fachlich optimalen Unterstützung der einzelnen Fachbereiche durch die IT. Und zweitens die unbewusste Ebene, die eine Zufriedenheit im täglichen Umgang bei der Benutzung der IT hervorruft. Bei Obi habe man nun diesen Gedanken konsequent weiter geführt, so Tackmann: „Die Nutzung des Modells BYOD beeinflusst das IT-Erlebnis und ist damit auf unbewusster Ebene sehr überzeugend.“
In der Unternehmenspraxis ergeben sich vor allem deshalb Hürden in der Umsetzung neuer IT-Projekte, weil IT und Fachbereich häufig unterschiedliche Zielsetzungen haben. Die IT verfolgt u.a. ein zentrales Management und zentrale Security, Kostenoptimierung, Automatisierung und Standardisierung. Die Fachbereiche hingegen sind an einem Management ohne Bürokratie, an Eigenständigkeit und maßgeschneiderter statt standardisierter IT und damit an Wahlfreiheit interessiert. Unterschiedliche Zielsetzungen erfordern also oft Kompromisse zwischen der IT und den Fachbereichen.
Während die IT beispielsweise keine Privatnutzung des Firmen-Notebooks möchte, halten die Fachbereiche oft die Nutzung eines einzigen bevorzugten Mobile Devices und damit eine gemeinsame Speicherung privater und beruflicher Daten auf „ihrem“ Gerät für sinnvoll und praktisch. In diesem Konflikt kann das System BYOD eine Lösung sein. Die Fachbereiche bekommen so ihre ersehnte Freiheit bei der Geräteauswahl. Trotzdem kann die IT kostengünstige, standardisierte und industrialisierte Services ausliefern. Auch die Kernforderungen nach zentralisiertem Management, zentralisierter Sicherheit und nicht zuletzt nach Kostenoptimierung können weiterhin erfüllt werden. „Im optimalen Fall werden Zielsetzungen der IT und des Fachbereiches kompromisslos erfüllt“, so Tackmann.
Gute Kompromisslösung
Eine gute Voraussetzung war bei Obi die Erfahrung mit der Desktop-Virtualisierung, die Anfang 2012 zu einem Prototypen führte. Der Pilot-Betrieb dient der praktischen Erprobung und bindet aktuell Nutzer auch aus dem Top-Management ein, wobei später auch das mittlere Management folgen soll. Auch hier liegt bereits die Hardware-Verantwortung beim Nutzer. Das Pilotprojekt realisiert gleichzeitig IT- und Fachbereichs-Ziele: zum Beispiel Apple-benutzbar und gleichzeitig zu 100 Prozent standardisierte Windows-Plattform sowie Speicherung privater und beruflicher Daten. Hinzu kommen ein zentrales Patch-Management und kurze Bootzeiten, der Betrieb aller Applikationen im Standby, hohe Verfügbarkeit, keine VPN-Probleme und einfache lokale Druckmöglichkeit – das alles in der gewünschten Geräteunabhängigkeit. Dabei hat sich herausgestellt, dass im Obi-Management fast alle Nutzer Apple Mac wählen.
Die Nutzung des Modells BYOD beeinflusst das IT-Erlebnis.
Oliver Tackmann
Dass das Top-Management als Testnutzer fungiert, hat den Vorteil, dass damit Bewusstsein und Wertschätzung für die IT geschaffen wird. Dass IT-Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit keine Gegensätze sind, ist eine weitere Erkenntnis dieses Projekts. Obi arbeitet mit einer „Zwei-Faktor-Anmeldung“: Nach dem Desktop-Login erhält der Nutzer einen SMS-Code auf sein Handy und gibt diesen auf dem Desktop ein. Dieses System erhöht die IT-Sicherheit und wird laut Tackmann gut akzeptiert. Aufgrund der kürzeren Ladezeiten, schneller Arbeitsgeschwindigkeit, Session-Mitnahme und der gewohnten Bedienbarkeit werde der virtuelle Desktop von allen Nutzern gerne angenommen.
Das wohl wichtigste Fazit des Pilotprojekts ist, dass 90 Prozent der Testnutzer die weitere Verfolgung der BYOD-Strategie empfehlen. Auch eine Reduktion des Support-Aufwandes nennt Tackmann als Ergebnis. Obi hat sich zur Fortführung des Pilotprojekts entschieden und plant den unternehmensweiten Rollout von BYOD. Die Vorteile, so Tackmann, kommen auf verschiedenen Ebenen zum Tragen. Das Unternehmen muss keine Investitionen mehr in Hardware tätigen, reduziert den Support-Aufwand und profitiert von einer Harmonisierung, Zentralisierung und Standardisierung seiner Desktop-Landschaft. Für den Mitarbeiter liegen die Vorteile vor allem darin, dass er das Endgerät seiner Wahl bekommt und für private und berufliche Zwecke nur noch ein Gerät benötigt.
Vor dem Rollout waren noch einige technische und organisatorische Hürden zu nehmen. U.a. musste die Frage geklärt werden, wie die Gerätenutzung vom Unternehmen bezuschusst und gemanagt wird. Dabei setzt Obi auf die organisatorische Regelung durch ein Mietmodell, was neben anderen Vorteilen für Obi als Mieter der Geräte und seine Mitarbeiter als Vermieter juristische Absicherung bringt. Obi stellt im Prinzip jedem Mitarbeiter einen virtuellen Desktop zur Verfügung und bietet die Wahl zwischen einem eigenen oder einem Obi-Endgerät (Thin Client oder Netbook) mit Linux OS.
Am drängendsten stellt sich aber noch immer die Frage der Lizenzbedingungen: ob überhaupt und mit welchen Modalitäten die Lizenzen der unterschiedlichen Unternehmens-Softwareapplikationen auf den Devices der Mitarbeiter genutzt werden dürfen. „Für alle Hürden gibt es Lösungsansätze – außer zu den Lizenzbedingungen“, stellt Oliver Tackmann fest. Einige Softwarehäuser bieten bislang keinerlei Lizenzmodelle für dieses BYOD-Modell. Vereinzelt gibt es – entsprechend teure – Netzwerklizenzen statt Einzellizenzen. Über mögliche Modelle wie etwa den einzelnen Nutzer zu benennen und zu lizenzieren steht Obi in Verhandlungen mit den Softwareanbietern. Der aktuelle Stand sei „ein gewisser geduldeter Pilotbetrieb“.
Fotos (2): Obi
Weitere Informationen: www.obi.de
Baumarkt-Pionier
Der erste Obi-Baumarkt wurde 1970 in Hamburg eröffnet. Obi gehört heute zur Tengelmann Unternehmensgruppe. Das Unternehmen ist in 13 europäischen Ländern mit rd. 580 Baumärkten vertreten, davon rd. 340 Märkte in Deutschland. Die durchschnittliche Größe der Verkaufsflächen beträgt rd. 7.000 qm, das Sortiment umfasst im Durchschnitt pro Filiale 40.000-60.000 Artikel. Obi beschäftigt rd. 43.100 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2012 einen Gesamtumsatz von 6,9 Mrd. Euro. Das Unternehmen sieht in Osteuropa seine potenziellen Wachstumsmärkte.