Wie entstand die Idee, eine Retail Academy zu gründen?

Talmon: Ich habe für Ikea zehn Jahre im Ausland Aufbauarbeit geleistet. Als ich zurückkam, stellte ich fest, dass sich in Deutschland das visuelle Marketing auf der Fläche nicht weiterentwickelt hatte – im Gegensatz zum Ausland. Nachdem ich The Store Designers gegründet hatte, war ich überrascht, wie oft aus den Handelsunternehmen der Wunsch an mich herangetragen wurde, auch die Mitarbeiter zu schulen.

Gab es da kein Angebot?

Talmon: Es gab in Deutschland Agenturen, die Unternehmen beraten haben, aber die haben ihr Wissen nicht hergegeben. Die sagten: Wir entwickeln Ihnen ein Konzept, und wir beraten Sie auch, aber das Geheimnis dahinter, das behalten wir für uns. Das ist nicht meine Philosophie. Bei Ikea gehörte es immer zu meinen Aufgaben, die Leute fit zu machen, damit sie nach der Eröffnung das Möbelhaus eigenständig führen konnten.

Wie ging es weiter?

Talmon: Spätestens als bei The Store Designers der Reihe nach die Telefone klingelten mit Anrufen von Headhuntern und wir selbst auch nur schwer neue Mitarbeiter fanden, war mir klar, dass es in Deutschland eine Retail-Akademie geben müsste, wo dieses Wissen, zu dem man bislang nur schwer Zugang erhielt, sehr konkret und unkompliziert vermittelt wird.

Sondermann: Im Retail Design kommen ja verschiedene Disziplinen zusammen: Grafik, Innenarchitektur, Visuelles Marketing, betriebswirtschaftliche Inhalte. Retail Designer sollten verkaufsstrategisch beraten können, also die Verbindung von Visuellem und Kommerziellem. Da gibt es in Deutschland einen Bedarf, das alles an einem Ausbildungsort zusammenzubringen, damit wir mittelfristig nicht vom Ausland abgehängt werden. In England, den Niederlanden oder auch in China ist man da weiter. In Deutschland hatten viele Handelsunternehmen bei Visual Merchandisern gespart. Doch wo es jetzt gilt, angesichts des Onlinehandels die Verkaufsflächen besonders zu machen, droht ihnen die Zukunft wegzubrechen, sie brauchen jetzt gute Leute.

Was ist nun die Retail Academy?

Talmon: Die Retail Academy kommt nicht „aus dem Lehrbuch“, sondern aus der praktischen Retail-Erfahrung heraus. Wir wollen auch keine weitere Kongress-Veranstaltung machen. Wir haben gesagt: Wir machen eine Fläche wie früher den Marktplatz in einem Dorf. Man hat sich dort unter der Linde getroffen, die alten Menschen haben erzählt und ihr Wissen an die jungen Menschen weitergegeben. Das wollen wir mit der Retail Academy erreichen: eine Fläche, wo man unparteiisch und unpolitisch und unkompliziert Fragen stellen kann und praktisches Wissen erhält. Die Retail Academy sagt nicht, wie Retail zu sein hat, sondern wir wollen den Rahmen schaffen und die Menschen zusammenbringen, wir wollen Diskussionen fördern, indem wir Fragen stellen, indem wir moderieren.

Sondermann: Wir verstehen uns als Gastgeberinnen. In der Reihe „Vorträge“ bringen wir Menschen in einer zwanglosen Atmosphäre und an ganz besonderen Orten mit einer gestandenen Persönlichkeit aus dem Handel zusammen, wir nennen das mit einem oder einer „alten Weisen“, wobei sich das „alt“ auf die Berufserfahrung bezieht. Jeder Besucher meldet sich persönlich an, er kann uns auch sagen, ob er mit einer bestimmten Person sprechen möchte, das können wir arrangieren. Jeder Besucher wird von uns persönlich empfangen. Beim Mittagessen gibt es eine Tischordnung, wir kennen die Leute und bringen sie zusammen. Bei der Gesprächsrunde können Gäste entweder in einem inneren Kreis mit den Referenten diskutieren, sie können aber auch als Zuhörer vom Moderator eine Frage stellen lassen, ganz nach persönlichem Temperament. Es geht um das Erlebnis und die Gesamtinszenierung. Dafür bieten wir atmosphärisch besondere Locations wie das Soho House in Berlin, das Zirkus- und Artistikzentrum in Köln oder die Zeche Zollverein in Essen.

Das klingt alles fast nach Diplomatie.

Talmon: Ja, da ist was dran. Wir bieten auch moderierte Gesprächsrunden mit fünf Personen an – zu einem Dinner oder tagsüber an einem ruhigen Ort. Das können fünf Geschäftsführer sein, das können fünf Visual-Merchandising-Abteilungsleiter aus verschiedenen Unternehmen sein, das können aber auch ein Geschäftsführer und vier Auszubildende sein. Es hat nichts mit Hierarchie zu tun, sondern mit Inhalten.

Sondermann: Für alle unsere Veranstaltungen gilt, dass wir ausdrücklich offen sind für Vorschläge von außen aus den Unternehmen, auch was die Inhalte angeht.

Und nun baut die Retail Academy auch einen Studiengang mit auf?

Talmon: Ja, wir entwickeln mit der Rheinischen Fachhochschule Köln zusammen einen berufsbegleitenden Studiengang „Retail Design“. Kaufhof war der Ideengeber. Der Studiengang ist praxisorientiert und soll aus Modulen bestehen mit verkaufsstrategischen, betriebs-wirtschaftlichen und designorientierten Inhalten und zum Bachelor-Abschluss führen. Im Laufe der Zeit soll der Master dazukommen. Der geplante Start ist das Wintersemester 2015.

Haben Sie einen Rat für Unternehmen in puncto Aus- und Weiterbildung?

Talmon: Wir haben eine wichtige Erfahrung nach der Wirtschaftskrise 2008 gemacht. Viele haben da ihre alten, „teuren“ Mitarbeiter entlassen oder in Frührente geschickt und junge Leute eingestellt. Nachdem die Wirtschaft sich erholt hatte und der Konsument wieder kaufte, stellten sie dann fest: Wir haben viele junge, motivierte Leute, aber ohne Erfahrung. Aus dieser Phase konnte man lernen, dass beides wichtig ist: das, was wir „Old Europe“ nennen, die Wertschätzung von altem Wissen, kombiniert mit der Energie der „jungen Wilden“. Diese Kombination ist das Wichtigste, was ein Unternehmen kreieren kann. Das will die Retail Academy zusammenbringen.

Was wünschen Sie sich für die Retail Academy?

Talmon: Ich hoffe, dass unser Angebot angenommen und mit Respekt betrachtet wird, es ist mit viel Risiko und persönlichem und finanziellem Einsatz verbunden. Wir verzichten auf Sponsoren, die Retail Academy muss sich aus eigener Kraft tragen. Wir sind also darauf angewiesen, dass die Unternehmen das jetzt auch leben.

Das Interview führte Sabine Marie Wilhelm. 

Weitere Informationen: www.the-retail-academy.com   

The Retail Academy

Die neue Retail Academy bietet 3 Programmbereiche:

1) Die „Vorträge“ geben Gelegenheit, einen ganzen Tag mit einer oder mehreren erfahrenen, charismatischen Persönlichkeiten aus der Retail-Branche zu verbringen mit Vortrag, gemeinsamem Essen und Gesprächskreis.

2) Die zweitägigen „Seminare“ bieten Unterricht und Workshops zu relevanten Einzelhandelsthemen. Diese können entweder im offenen Programm gebucht werden oder, auch thematisch maßgeschneidert, als geschlossene Inhouse-Veranstaltung beim Handelsunternehmen.

3) In den „Gesprächen“ tauschen sich 5 Personen in einem intimen, handverlesenen, moderierten Kreis ohne Hierarchien zu einem bestimmten Thema aus.

Die Retail Academy verzichtet auf Sponsoren, um „unpolitisch und überparteiisch“ zu agieren.