Mit seinem edlen neuen Department Store in Düsseldorf setzte sich Breuninger vor wenigen Wochen in der Rangliste der vorbildlichen Fashion-Shopkonzepte an die Spitze. Fast zum selben Zeitpunkt besiegelte einer der prominentesten deutschen Modehändler, Albert Eickhoff, das Ende einer Ära: Sein Designermode-Geschäft an der Düsseldorfer Königsallee, das in der Modebranche jahrzehntelang Leitbildfunktion besaß, schließt.

Der Discounter Kik, um die Modehandelslandschaft auch am anderen Ende zu beleuchten, ist gerade dabei, sein signalrotes Schmalspur-Design durch ein atmosphärisches Shopfitting zu ersetzen. Und C&A verlieh der eigenen Image-Erneuerung jüngst durch ein schickes Flagship mit hellem, großzügigem Storedesign Ausdruck. Auch geografisch ist der Modehandel tektonischen Verschiebungen ausgesetzt. Internationale Modeanbieter aller Qualitätsstufen treiben ihre Expansion voran. Primark, TK Maxx, Bershka, Urban Outfitters, Uniqlo u.a. spiegeln jene internationale Reichhaltigkeit und Grenzenlosigkeit in Preislagen und Modetrends auf die stationäre Fläche, die der Kunde im Internet kennengelernt hat. Und sie zeigen, dass der neue Konsument Stimulation, Image, Lifestyle und Convenience auf allen Ebenen erwartet, bis hinein ins Niedrigpreis-Segment.

Eine angenehme und komfortable Einkaufsumgebung ist in jedem Falle ein Muss, selbst bei einem Discounter.

Klaus Schwitzke

Schwitzke Gruppe, Düsseldorf

Während die Marken-Filialisten und die neue Generation der mondänen, lichtdurchfluteten Department Stores à la Breuninger die Shoppingmeilen der Städte im Griff haben, bauen Modehäuser in der Provinz ihre lokalen Identitäten aus, also dort, wo für Monomarkenstores das Kundenvolumen nicht reicht. Das modernisierte und erweiterte Traditionshaus Garhammer in Waldkirchen liefert ein eindrucksvolles Beispiel. Eine Melange aus modischem und atmosphärischem Metropolen-Flair mit Lokalkolorit, persönlicher Ansprache und elaborierter Modekompetenz lockt Kunden von weit her ins tiefste Niederbayern, wo Stilwelten, Sympathie und Service ein Einkaufserlebnis garantieren.

Back to Boutique

Auch die Trüffelsuchermentalität der Konsumenten, die den digitalen Globus nach dem besonderen Stil-Stück durchpflügen, schlägt sich neuerdings stationär nieder. Der kleinformatige, individualistische Fashion-Store, bis vor kurzem noch auf dem Gleis der Auslaufmodelle, erlebt vor allem im Konsum-Milieu der Individualisten eine Renaissance. „Auf dem Vormarsch sind Boutique-ähnliche Store-Konzepte, die eine spitze Markenpositionierung unterstreichen“, betont Klaus Schwitzke. Französische, skandinavische oder italienische Modemarken einer gehobenen Stilklasse eröffnen eigene Läden in den Metropolen. Diese „Marken-Showrooms“ treiben die Vernetzung von Inspiration, Information und Einkauf zwischen On- und Offline voran als Teil einer Multichannel-Strategie. Neben dem direkten Verkauf sollen die Kunden auch an die E-Shops herangeführt werden.

Interaktives Marken-Erlebnis bei Karl Lagerfeld in Paris: Innovative Technologien unterstützen die Botschaft.

Interaktives Marken-Erlebnis bei Karl Lagerfeld in Paris: Innovative Technologien unterstützen die Botschaft.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass einige gängige Premium-Modemarken und international operierende, überdistribuierte Superbrands beim Konsumenten gerade an Zug- und Strahlkraft verlieren. Sortimente werden demzufolge umgeschichtet, ausgetauscht. Einkaufsszenarien müssen ganz neu gedacht werden. Das führt zu neuen Allianzen über die physischen und mentalen Grenzen hinweg. Neben Taschen, Schuhen und Accessoires finden Bikes und Bücher, Pralinés, Parfums und Papeterie Zugang in früher sortenreine Textilsortimente, die integrierte Kaffeestube, Sekt- oder Snack-Bar nicht zu vergessen. Der Concept Store verlässt seinen Exotenstatus, der Colette in Paris oder Apropos in Köln zu Pilgerstätten gemacht hatte. Jetzt ist jeder ein bisschen Concept Store.

Das Über-den-Tellerrand-Sehen, die unendliche Inspiration im Netz, der jederzeitige Kanal-Switch, gestiegene Ansprüche ans Produkt und eine neue Lust an Dialog und persönlichem Kontakt prägen den neuen Konsumenten, dem mit Mittelmaß kaum begegnet werden kann. Der innovativ aufgestellte Modehandel signalisiert in den letzten Monaten, die neuen Herausforderungen verstanden zu haben. „2013 war ein sehr aktives Jahr mit vielen Neueröffnungen. Der Handel ist zurzeit sehr rege und auf der ständigen Suche nach Neuem“, bestätigt der Architekt Gilbert Rottmann. Und Detlef Becker vom Ladenbauunternehmen Heikaus ergänzt: „Die erhöhten Anforderungen, die an den textilen Handel gestellt werden, spüren wir auch. Unser Kunde erwartet umfassendere Beratung und Betreuung, wo oft schon der Übergang zur Unternehmensberatung fließend ist.“

Repair & Recycle: Bei Nudie Jeans in London Soho werden getragene, verschlissene Jeans professionell geflickt und wiederaufbereitet. Teppiche und Vorhänge im Store sind aus gebrauchten Denims geschneidert.

Repair & Recycle: Bei Nudie Jeans in London Soho werden getragene, verschlissene Jeans professionell geflickt und wiederaufbereitet. Teppiche und Vorhänge im Store sind aus gebrauchten Denims geschneidert.

Auf das veränderte Beziehungsgeflecht zwischen Einzelhändler, Ware und Kunde antworten in jüngster Zeit verschiedene progressive Denim-Brands mit innovativen Formaten. Die Marke G-Star tourt mit einem Pop-up-Schneideratelier durch einzelne Flagships, in denen sich der Kunde seine Customized Jeans nach persönlichen Vorlieben anfertigen lassen kann. Das schwedische Label Nudie Jeans mit großer Affinität zu nachhaltigen Themen erfand den „Repair Store“, wo nicht nur neue Jeans verkauft, sondern auch alte zum Nulltarif ausgebessert werden. Das Label Denham aus den Niederlanden richtete in einem Amsterdamer Eckgebäude mit zwei großen Schaufensterfronten einen „Showcase-Store“ ein, der zugleich Café, Laden und Galerie ist. Hier wurde die fast schon obligatorische Kaffee-Bar nicht in irgendeine Ecke gestellt, vielmehr dient die zentrale Fläche im Store als Café. Das Personal absolvierte ein Barista-Training und das Zubereitungs-Equipment trägt einen „Gold-Standard“. Die Kunden werden über den guten Kaffee an Jeans und Marke geführt.

Barista-Training und Pokerabend

Um die Kunden vom Sofa weg in die Läden zu locken, legen auch klassische Modehäuser beachtlichen Erfindungsreichtum an den Tag. Modenschauen, Lesungen und Kunstaktionen stellen da noch die naheliegenden Event-Versionen dar. Der Einzelhändler wird zum „Freizeit-Organisierer“, wie Mark Rauschen vom Osnabrücker Modehaus Lengermann + Trieschmann sagt, der eine Eventmanagerin in Vollzeit beschäftigt und rd. 200 Events im Jahr durchführt, darunter auch Pokerabende für Herren.

Der Fashion Store von morgen ist nahtlos integriert in die digitalen und sozialen Kanäle.

Samuel Langley-Swain

Head of Insights, Green Room Retail Design Birmingham (UK)

Auffällig ist, wie unverkrampft eine junge Generation Unternehmer die Vernetzung der Sortimente, Distributions- und Kommunikationskanäle durchspielt und das erweiterte Rollenbild des Einzelhändlers mit Effizienz erfüllt. Die österreichische Designerin Lena Hoschek zum Beispiel mietete großzügige Räumlichkeiten in der Berliner Kastanienallee an, wo sie Store, Showroom, Lager und Backoffice für die Auftragsabwicklung ihres Webshops zusammengezogen hat. Gut geschulte, multitaskingfähige Mitarbeiter, die Kommunikationstalent mit Stil und Organisationsgeschick verbinden, bedienen alle Kanäle und Kunden. Besucher erhalten bewusst einen intimen Einblick in das Design-Unternehmen, unterstützt durch eine wohnlich-nostalgische Ausgestaltung der Räume.

Der Wohlfühlfaktor bildet bei den meisten Storekonzepten in der Fashion die Ausgangsbasis. Angenehme Wohnatmosphären mit hohem Komfort haben unterkühlte, „seelenlose“ Formate weitgehend von der Bildfläche verschwinden lassen. Die Annahme, dass mit dem Warendruck der Umsatz steigt, weicht der Erkenntnis, dass heute das Gegenteil der Fall ist. Zugunsten der Aufenthaltsqualität wird der Warenbesatz zurückgefahren.

Choreografie im Raum

Der Einsatz von Naturmaterialien, wohnliche Farbigkeit und warme Lichtstimmung unterstützen die Inszenierung. Die Raumwirkung wird ganzheitlich und in 3-D geplant. Gwenaël Nicolas, der Designer des neuen Louis Vuitton-Stores bei Selfridges, nennt sich einen „Choreografen des Raums“. Der erhöhte Taktschlag der Veränderung von Raumwirkungen rückt modular aufgebautes Interior Design in den Vordergrund. Einzelmöbel, variable Päsentationsmodule und nach wie vor auch Flohmarktartikel und Vintage-Devotionalien, die mit wenigen Handgriffen neue Ladenbilder und Kulissen für Events zaubern, haben daher weiterhin Konjunktur. Abercrombie & Fitch dient da schon fast als tragisches Gegenbeispiel, offenbart sich hier doch besonders krass der hohe Abnutzungsgrad einer zwar eindrucksvollen, aber eben auch sehr sehr statischen Retail-Inszenierung. Schon die zweite Fahrt mit der Geisterbahn ist nicht mehr halb so spannend.

Ein integriertes Arsenal an Screens, Tablets und digitaler Interaktion gehört inzwischen fast zur Standard-Ausstattung einer POS-Inszenierung. Das Highend setzt auf Hightech, um die Macht der Marke im echten und im virtuellen Raum zu inszenieren. Renommierte Modehäuser wie Louis Vuitton, Karl Lagerfeld oder Burberry spielen technologische Features besonders raffiniert aus. Junge Marken setzen mit Gaming Zones oder interaktiven Style-Advisors auf die „digitale Sozialpflege“ innerhalb ihrer Lebenswelten. Und wenn die Versender nun öffentlich darüber nachdenken, Pakete mit unbemannten Drohnen auszuliefern, lässt sich erahnen, dass die Reise in eine technologisch basierte Handelszukunft gerade erst angefangen hat.

Foto: Michelgroup

Crowd-Sourcing im Modehandel

Lindie Champion, Director of Brand bei der britischen Retail Design-Agentur Kinnersley Kent Design zu der Frage, wie sich der Modehandel auf „den neuen Konsumenten“ einstellen kann.

Wie lautet Ihrer Meinung nach das Leitmotiv für neue Storekonzepte?

Der moderne Käufer lässt sich nicht begrenzen. Mit dem Aufkommen des Omnichannel-Retailing diktieren der Kunde und die Technologie, was wann wo gekauft wird.

Welchen Themen muss sich der Modehandel stellen, um seine Position für die Zukunft zu stärken?

Die Gewinner werden die Händler sein, die wissen, wie man eine Synergie herstellt zwischen E-Commerce und stationärem Handel. Für manche Department Stores ist der Online-Kanal ihr neues Flaggschiff geworden. Die wichtigsten Treiber könnten Convenience und der Preis sein, zu nennen sind hier Click-and-Collect-Angebote, Warenhausfilialen außerhalb der Citys oder eine Lieferfrist von online bestellten Artikeln innerhalb von zwei Stunden.

Können Sie vorbildliche Beispiele für digitale Anwendungen aus dem Modehandel nennen?

Burberry in London zum Beispiel hat seinen Store als Spiegel seiner Website gestaltet. Überall auf der Fläche sind interaktive Bildschirme integriert. Auf den Screens werden zum Beispiel
Videos von Regenschauern eingespielt, um ein Ambiente für die Regenmäntel zu schaffen. Auch die neue Boutique von Karl Lagerfeld in Amsterdam ist ebenso sehr Boutique wie digitales Erlebnis. Manche Anwendungen sind ein wenig Spielerei, andere sind innovativ. In den Umkleidekabinen kann man sich in den Kleidern filmen und danach auf einem Bildschirm den Film ansehen.

Wie kann die Bindung des modernen Kunden sonst noch erfolgen?

Einzelhändler können zum Beispiel eine permanente Ausstellungsfläche einrichten und wichtige Multiplikatoren einladen, eine Show zum Beispiel um eine neue Kollektion herum
zu veranstalten. Ein bekannter Fashion Store in Paris macht soetwas monatlich. Man lädt Celebrities aus der Welt des Sports, der Mode, der Literatur oder der Kunst ein und bittet
sie, ihre Lieblingsteile im Store auszusuchen. Daraus wird dann eine eigene kleine Abteilung gemacht. Ich bin sicher, dass diejenigen Händler, die für hervorragenden Kundenservice bekannt sind, Crowd Sourcing in ihrer bestehenden Kundenbasis betreiben können. Zum Beispiel kann ein Händler bloggende Mütter oder Literaturstudenten zu „Journalisten“ ernennen, um so authentischen Input für ihre Seite zu generieren. So etwas kann Mehrwert schaffen.

Lindie Champions „Einkaufsliste“

  • Modebloggerinnen und Modeseiten wie Polyvore oder Dressipi sind die neuen Anna Wintours.
  • Nahtloser Übergang von Offline und Online im Store.
  • Individualisierung und Personalisierung von Produkten mithilfe von Techniken wie RFID, 3-D-Druck oder virtuellen Umkleidekabinen.
  • Digitale Marketing-, Verkaufs- und Community-Building-Aktivitäten wie: Schnellkassen, Schlangen vermeiden, Angebote zum Relaxen und Gamifying. Zum Beispiel kann man zeigen, wie beliebt bestimmte Kleidungsstücke auf Facebook sind.
  • C&A Brasilien hat zum Beispiel Kleiderbügel mit kleinen Screens, die zeigen, wie viel Facebook-Likes ein Kleidungsstück hat. Ganz im Gegensatz dazu eine Aktion bei Selfridges in London: Als Gegengewicht zu visueller und akustischer Überreizung gab es „No Noise“-Zonen, in denen man ohne Schuhe gehen musste, ohne Handys, und alle Produkte waren de-branded, also ihrer Markenidentität entkleidet.