Herr Acker, am besten starten wir damit, den noch recht jungen Begriff Metaverse zu erklären …
Metaverse ist Teil eines größeren Konzepts, das sich Web 3 nennt. Web 1 war das Internet der 90er und 2000er Jahre. In recht eindimensionaler, statischer Perspektive stellten Anbieter Informationen zur Verfügung. Web 2 ist das Internet, in dem wir aktuell agieren. Menschen konsumieren nicht nur Informationen, sondern produzieren auch eigenen Content und stellen ihn anderen zur Verfügung – Stichwort Social Media. Das Web 3 zeichnet sich durch die Erweiterung um Technologien wie Augmented und Virtual Reality oder Blockchain aus. Im Web 3 können die Nutzenden in Echtzeit interagieren sowie digitale Besitztümer austauschen und anlegen. Den Ort, an dem dies geschieht, nennen wir Metaverse, es ist ein Ort der Interaktion im digitalen Raum, der dem realen Leben nachempfunden ist und der neue Geschäftsmodelle eröffnet.
Sehen Sie bereits Relevanz für den Handel?
Bisher findet vor allem Online-Gaming im Metaverse statt. Auf der Plattform Fortnite beispielsweise treffen sich jeden Tag Millionen Menschen, insbesondere Teenager. EPAM ist selbst Dienstleistungspartner eines sehr großen Spieleentwicklers. Wir verfolgen mit Spannung, wie sich diese Spieleplattformen immer mehr zu Interaktionsplattformen entwickeln, die schon heute sehr attraktiv für Marken aller Art sind. Beispiel Nike. Nike hat sich in Roblox, einer weiteren virtuellen Welt, mit Nikeland niedergelassen, um sich mit seiner Marke frühzeitig im Bewusstsein der jungen Konsumenten zu etablieren und die Kunden dort zu gewinnen, wo sie sich aufhalten. Auch anhand anderer großer Plattformen wie The Sandbox, Decentraland oder auch Drest wird deutlich: Metaverse hat definitiv schon jetzt Relevanz für den Handel.
EPAM Systems hat das EHI-Whitepaper „Metaverse im Handel“ in Auftrag gegeben. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Die Ergebnisse sind sehr erfreulich und positiver als gedacht. Wir hatten erwartet, dass der Handel konservativer an das Thema herangeht. Doch die Branche hat bereits sehr große Veränderungswellen durchgemacht und – Beispiel E-Commerce – teilweise hart gelernt, zu welchen Problemen es führen kann, wenn man zu spät auf Entwicklungen reagiert.
Welchen Metaverse-Einstieg empfehlen Sie Händlern?
Ich empfehle ganz klar, bereits jetzt mit ersten Schritten zu starten. Diese lassen sich nach Risikobereitschaft und Budget skalieren. Man muss das Metaverse selbst ausprobieren, um es zu verstehen. Wer zunächst nur beobachtet, sieht zwar, was andere lernen, wird aber immer nur Nachzügler und Nachahmer sein. Wichtig ist, einen eigenen Weg zu finden und gleichzeitig gute Ideen und Erfahrungen anderer aufzugreifen. Vor der ersten Aktivität ist das Unternehmensziel zu klären. Ist ein reiner Marketing-Effekt gewünscht? Dann eignen sich ein Event, Gewinnspiel oder die Einbindung in eine der Plattformen. Bei dauerhafter Präsenz ist der generierte Mehrwert entscheidend. Beispielsweise bei komplexen Produkten eine Beratung zu bieten, die es online so zuvor noch nicht gab. Oder zusätzlich zu den physischen Produkten digitale Äquivalente, sogenannte NFTs, zu verkaufen, mit denen sich die Menschen im Metaverse zum Ausdruck bringen können. Um von Anfang an eine breite Nutzergruppe auf den Weg mitzunehmen, rate ich dazu, einen einfachen Zugang zu ermöglichen. Also auch über vorhandene Hardware wie Notebooks, Tablets oder Smartphones und nicht ausschließlich über VR-Brillen & Co., auch wenn Letztere das noch bessere Erlebnis bieten.
Auf welchen Plattformen lohnt sich der Einstieg?
Noch ist es zu früh, um zu wissen, welche Investitionen sich langfristig lohnen und welche Plattformen sich durchsetzen werden. Das Metaverse ist mit dem Versprechen verknüpft, sich nahtlos bewegen zu können. Daher ist der Druck auf die Plattformen und das Metaverse Standards Forum – bei dem wir Gründungsmitglied sind – hoch, dass man mit seinen digitalen Gütern künftig auch zwischen Plattformen umziehen kann. Oder dass man beispielsweise mit der Kreditkarte und nicht nur den Plattform-spezifischen Blockchain- Währungen bezahlen kann. Noch sind wir in einer experimentellen Phase. Am Ende geht es für den Handel darum, den physischen Store, E-Commerce und Metaverse zu einer stimmigen Gesamtwelt zu verbinden. Das Metaverse wird gegenüber heutigen Online-Welten wahrscheinlich die reizvollere Erfahrung sein und daher verstärkt genutzt.
Können KMU-Händler noch Schritt halten?
KMU-Händler haben während der Lockdowns erlebt, dass eine Online- Präsenz überlebenswichtig ist. Sie haben ebenso die Erfahrung gemacht, dass es inzwischen einfacher geworden ist, einen Onlineshop zu eröffnen. Auch das Metaverse wird sich demokratisieren. Es wird schon bald die Zeit einfacherer und günstigerer Tools kommen.
Der LEH hat dem Whitepaper zufolge nicht das höchste Nutzen-Potenzial. Wie fällt Ihre Einschätzung aus?
Wahrscheinlich werden die Menschen tatsächlich nicht ausschließlich im virtuellen Raum Lebensmittel einkaufen. Aber es lassen sich Erlebnisse für große Nutzergruppen schaffen. Ein Koch-Event mit Tim Raue zum Beispiel wird in einer physischen Filiale nicht annähernd dieselbe Reichweite erzielen, die über das Metaverse möglich ist. Und das Erlebnis ist im Metaverse so authentisch, als würde man persönlich mit Tim Raue in der Küche stehen. Man könnte den Kunden dann auch gleich Rezept und Zutaten auf Knopfdruck liefern. Auch der Lebensmittelhandel hat also vielfältige Optionen.