Welche Themen werden für den Handel in den nächsten 3 bis 5 Jahren besonders wichtig sein?

Zu den wesentlichen Veränderungen der kommenden Jahre wird sicherlich die Transformation von multinationalen Handelsunternehmen zu globalen Organisationen gehören. Im Zuge der Veränderungsprozesse werden Landesgrenzen in Zukunft an Bedeutung verlieren, und eine zunehmende internationale Standardisierung wird zu einer stärkeren Einheitlichkeit von Prozessen und Abläufen führen. Die Zeiten, in denen in jedem Land eigene Wege gegangen wurden, sind endgültig vorbei.

Von ebenso großer Bedeutung wird das Zusammenwachsen von stationären Handelsgeschäften mit dem eigenen Online-Geschäft sein. Hier geht es insbesondere um die intelligente Verzahnung von Prozessen im Hinblick auf Bestellung, Lieferung und Rückgabe. Wir fassen das bei uns unter Shopping 2.0 zusammen. Hier geht es natürlich auch um mobiles Marketing und mobiles Einkaufen. Früher wurde das Internet von den Unternehmen als eine separate Organisationseinheit betrachtet, oft sogar ganz bewusst unter einer eigenen Marke. Heute liegt gerade im einheitlichen Auftritt von Online- und Offline-Aktivität die besondere Stärke.

Auch das schwer einzuschätzende Konsumentenverhalten bleibt in den kommenden Jahren eine große Herausforderung.

Wir kennen den hybriden Verbraucher schon seit Jahrzehnten. Der richtige Umgang mit ihm ist heute aber wichtiger als je zuvor. Denken Sie nur einmal daran, dass sich Kunden heute über ihr Mobiltelefon die günstigste Tankstelle in ihrer Nähe heraussuchen, dann aber für eine Flasche Wasser an dieser Tankstelle mehr als 3 Euro zahlen. Wer es versteht, diese Verhaltensweisen am besten zu nutzen, kann davon erheblich profitieren.

Darüber hinaus werden Fragen der Nachhaltigkeit in Zukunft unsere Arbeit stark beeinflussen. Immer mehr Kunden fragen danach, was sie mit dem Kauf bestimmter Produkte in der Welt bewirken. Wie werden Produkte hergestellt? Über welche Entfernungen müssen sie transportiert werden? Für uns als Technologiekonzern besteht die Aufgabe darin, den Handel darin zu unterstützen, diese Informationen für den Kunden verfügbar zu machen.

Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen insgesamt auf die IT der Unternehmen?

IT wurde bisher von den Unternehmen als Kostenfaktor gesehen. Möglichst geringe Ausgaben waren Beweis für gute IT-Systeme. Das wird sich jetzt ändern. Wir brauchen die Technik nicht mehr in erster Linie als Rationalisierungsinstrument, sondern zunehmend als Innovationstreiber, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern. Wir werden in den kommenden Jahren sehen, dass Informationsprozesse immer schneller ablaufen werden. In der Vergangenheit hat es uns gereicht, die Verkaufszahlen aus den Geschäften einmal pro Tag abzurufen.

Heute wollen wir quasi minutengenau über Verkäufe und Bestände informiert sein. Realtime wird also das große Thema in den kommenden Jahren sein. Das gilt im Übrigen auch für die Kunden. Auch sie wollen schnell, einfach und immer aktuell informiert sein. Internetfähige Mobiltelefone eröffnen eben ganz neue Möglichkeiten, die wir bedienen müssen. Natürlich werden auch in den kommenden Jahren IT-Systeme einen Beitrag zur Effizienz leisten müssen, aber im Fokus wird eher die Unterstützung verkaufsfördernder Prozesse stehen.

Die Kassenzone wird zum Beispiel viel differenzierter aussehen, die Mitarbeiter werden viel mehr Informationen zur Verfügung haben, und auch die Kunden werden stärker mit Technik in Berührung kommen. Elektronische Regaletiketten, Self-Checkout, Digitales Instore-Marketing – wir kennen die ganzen Schlagworte dazu ja schon, jetzt wird es aber in die Umsetzung gehen. Gleichzeitig wird auch der globale Einkauf von IT und angrenzenden Dienstleistungen zunehmen. Heute haben Handelsunternehmen oft in unterschiedlichen Ländern auch unterschiedliche Systeme und verschiedene IT-Dienstleister. Zukünftig wird man sich stärker auf einen Partner im internationalen Geschäft konzentrieren.

In Deutschland plant jedes dritte Handelsunternehmen die Installation neuer Kassensoftware. Was sind die wesentlichen Anforderungen?

Im Zuge der internationalen Vereinheitlichung wird der Anteil der Standardsoftware im Kassenbereich sicherlich zunehmen. Die Unternehmen werden es sich nicht mehr leisten können, in jedem Land andere Systeme zu nutzen und diese auch zu pflegen. Dies wird auch die Konzentration auf Seiten der Anbieter verstärken. Die Software der Zukunft wird vor allem hochgradig flexibel sein müssen. Ständig kommen neue Anforderungen auf uns zu, und die Software muss neue Funktionen abbilden können. Beispiele dafür sind aktuell die Anbindung von Internetfunktionalitäten an den Kassenplatz, Bonus- und Spendensysteme oder die zunehmende Nutzung von Realtime-Informationen an der Kasse. Der Zugriff auf aktuelle Bestandsdaten anderer Filialen an der Kasse ist ein schönes Beispiel für solche zukünftigen Anforderungen.

Auch die Effizienz der Kassenprozesse ist ein wichtiges Thema für den Handel. Wo sehen Sie hier wesentliche Stellschrauben?

Der Checkout ist sicherlich der wichtigste Filialprozess. Der Kunde wird in Zukunft immer stärker nach Alternativen zum gewohnten Prozess fragen. Zu klassischen Bedienkassen kommen Anwendungen wie mobiles Scanning, Self-Checkout oder auch die Heimbelieferung als eine ganz andere Alternative. Auch die mobile Kasse, die in manchen Branchen zum Einsatz kommen wird, kann den Kunden viele Vorteile bieten. Diese Dinge sind nicht trivial, eine mobile Kasse mit echter Zahlungsfunktionalität ist schon eher eine Herausforderung als nur ein mobiles Informationssystem für den Verkauf.

Die jüngste EHI-Studie zu Zahlungssystemen zeigt, dass Bargeld weiterhin Zahlungsmittel Nummer eins ist. Wird das aus Ihrer Sicht so bleiben?

Wir gehen davon aus, dass in den kommenden 3 bis 5 Jahren der Anteil unbarer Zahlungen nicht dramatisch steigen wird. In einigen Ländern geht er sogar zurück. Der Umgang mit Bargeld bleibt also für die Unternehmen ein ausgesprochen wichtiges Thema. Dies gilt sowohl für die Versorgung als auch für die Entsorgung. In Zukunft werden wir versuchen, mit allen Beteiligten eine stärkere Standardisierung von Bargeldprozessen zu erreichen.

Wenn es uns gelingt, an der Kasse des Handels eine Geldkassette zu bestücken, die anschließend direkt im Geldausgabeautomaten einer Bank genutzt werden kann, dann haben wir viel erreicht. Die Kosten für das Bargeld-Handling werden insgesamt erheblich sinken können, für die gesamte Volkswirtschaft, aber auch für einzelne Unternehmen. Der Weg dahin ist allerdings sehr lang, denn Handel, Geldtransporteure und Banken müssen sich einigen und auch bestehende Systeme ändern. Wincor Nixdorf als Spezialist für Handel und Banken will in diesem Prozess eine führende Rolle einnehmen. Und wir tun das auch in enger Zusammenarbeit mit GS1 Germany als unabhängigem Standardisierungsgremium der Konsumgüterbranche.

In welchen Ländern sehen Sie für Wincor die größten Potenziale?

Für uns bleibt West-Europa ein ganz bedeutender Markt mit vielen Unternehmen, die auch international eine führende Rolle einnehmen. Wir beobachten aber viele Länder mit einer riesigen Bevölkerung und stark wachsenden Einkommen, insbesondere in der Mittelschicht. In Ländern wie Brasilien, China, Indien, Mexiko und Russland entstehen zurzeit hochprofessionelle Handelsstrukturen, die für uns eine wichtige Rolle in der Zukunft spielen werden. Einerseits begleiten wir bestehende Kunden beim Aufbau ihrer Unternehmen in diesen Märkten, anderseits gewinnen wir hier auch neue Kunden hinzu. Sicherlich wird man auch auf der Wincor World im Oktober 2012 diese zunehmende Internationalität unserer Kunden wieder deutlich spüren.

Realtime wird das große Thema in den kommenden Jahren sein.

Thomas Fell

Vorstand Wincor Nixdorf

Partner für Banken und Handel

Wincor Nixdorf mit Hauptsitz in Paderborn sieht sich als IT-Partner der Banken und Handelsunternehmen mit der Zielausrichtung, wettbewerbsfähige Prozesse und Abläufe in den Filialen sicherzustellen. In beiden Branchen geht es darum, Prozesse insbesondere an der Schnittstelle zum Verbraucher durch Informationstechnologie neu zu gestalten. Beginnend mit der IT-Beratung reicht das Angebot über die Bereitstellung innovativer Software und Systeme bis zu deren Integration. Produktbezogene Services, Konzepte zur Betriebsführung der Filial-IT oder auch deren Übernahme im Rahmen des Outsourcings ergänzen das Angebot. 

Weitere Informationen: www.wincor-nixdorf.com