Schafft es Blockchain wirklich, die Transparenz und Effizienzsteigerung herzustellen, die sich Experten von dieser Datenbank-Technologie versprechen? Die Beantwortung dieser Frage stand im Fokus eines Pilotprojekts unter der Leitung von GS1 Germany (Köln), bei dem Blockchain für den Palettentausch zum Einsatz kam. Palettentausch deshalb, weil es für alle Beteiligten in Handel, Logistik und Industrie ein durchaus komplexes Thema ist und ideale Voraussetzungen bietet, um Blockchain zu testen. Denn die Welt des offenen Palettentauschs ist analog und geprägt von reichlich Papierkram sowie manuellen Tätigkeiten und Dokumentationen. Bislang kommt ein Palettenschein aus Papier zum Einsatz, wenn etwa Ware an der Laderampe eines Händlers angeliefert wird und die Palette zunächst dort verbleibt, ohne dass ein Palettentausch stattfindet. Der Schein dokumentiert Anzahl, Art und Güte der Ladungsträger. Sein Besitzer kann ihn später beim Aussteller oder bei einem beauftragten Dienstleister wieder einlösen.

Projektverlauf in 5 Phasen

1. Use Case-Definition: Der Ladungsträger wird festgelegt und der Tauschprozess konzipiert.
2. Festlegung der technischen Systemarchitektur: Welche Blockchain wird eingesetzt?
Private oder öffentliche Blockchain? Entwicklung der Simulationsumgebung und eines Prototyps; Durchführung eines Testlaufs. Test des physischen Warenflusses. Auswertung der Ergebnisse und Ableitung von Handlungsempfehlungen.

Klingt simpel, hat aber neben der Abwicklung per Papier noch die beiden Schwachpunkte Beteiligung unbekannter Akteure undfehlende Kontrollinstanz. Das macht den ganzen Prozess unübersichtlich. Mehr Effizienz und Transparenz durch Blockchain und digitalisierten Palettenschein lautete daher das Projektziel.

Zur Sache: Blockchain

 

Blockchain ist ein Protokoll für Transaktionen zwischen Beteiligten, bei denen Veränderungen transparent erfasst werden. Dabei wird das Protokoll nicht auf einem Server oder bei einem Unternehmen, sondern dezentral verteilt. Deshalb gilt die Blockchain als neutrales System der Informationsverarbeitung ohne zentralen Verwalter oder kostenpflichtigen Intermediär. Innerhalb der Blockchain sind alle Informationen jederzeit nachvollziehbar. Auch neue Teilnehmer haben Zugriff auf bisher hinterlegte Daten.

Daten statt Papier

Der Test beinhaltete die Durchführung und Abbildung von knapp 600 realen Tauschvorgängen durch 17 Tauschpartner innerhalb von zwei Wochen. Hinzu kam ein Belastungstest mit 3.600 Tauschvorgängen pro Stunde. Das Ergebnis: Größere technische Probleme gab es dabei keine. „Der Test hat gezeigt, dass eine Blockchain-basierte Lösung branchenübergreifend funktionieren kann. Die meisten Teilnehmer würden die mobile Anwendung gerne weiterhin nutzen“, fasst Regina Haas-Hamannt, Head of Innovation bei GS1 Germany zusammen.

Der Palettenaustausch

Der Palettenaustausch
Foto: GS1 Germany/Darstellung: EHI

Ein Effizienzgewinn konnte insbesondere im Backoffice festgestellt werden durch vereinfachte Kontenabstimmungen und automatisierte Saldenberechnungen. „Ich bin mir zu einhundert Prozent sicher: Das wird kommen“, kommentiert Christian Grotowsky, Senior Vice President Corporate IT bei Lekkerland, Frechen, das Ergebnis.

Außerdem erleichtert Blockchain die Tätigkeiten an der Laderampe und intensiviert die Supply Chain-Partnerschaften. „Blockchain ist ein Katalysator für Kooperation“, formuliert Regina Haas-Hamannt. Vor der Presse stellte die GS1-Expertin in Köln gemeinsam mit Projekt-Teilnehmern weitere wichtige Erkenntnisse und Praxistipps vor:

1. Mehrwert prüfen. Vor dem Start eines eigenen Blockchain-Pilotprojekts gilt es kritisch zu prüfen, ob die Datenbanktechnologie für den geplanten Anwendungsfall wirklich Mehrwert schafft. Prozesse und Abläufe sollten vorab definiert und beschrieben werden. Ein „Proof of Concept“ ist empfehlenswert.

2. Governance ist komplexer als Technologie. Schwieriger als die Lösung technologischer Fragen ist die Entwicklung eines Unternehmens- Netzwerks, die Festlegung von Teilnahme-Regeln sowie Lese- und Schreiberechten, die allgemeine Governance und die Finanzierung des Netzwerks.

3. Transparenz: Fluch und Segen. Informationen, die man nicht mit anderen Unternehmen teilen will, haben in einer Blockchain nichts zu suche. Blockchain heißt deshalb auch zu reflektieren, wie viele und welche Informationen ein Unternehmen preisgeben möchte.

4. Kooperationen neu denken. Blockchain erfordert, dass B2BBeziehungen neu gedacht werden. Der Einsatz zieht für viele Unternehmen vollkommen neue Organisationsstrukturen, Prozessabläufe und Machtverhältnisse nach sich und schafft neue Gesetzmäßigkeiten im Umgang mit Geschäftspartnern. Denn Blockchain folgt der Logik der Kooperation unter Verzicht auf Dominanz.

5. Offenheit als Prinzip. Damit eine Blockchain sinnvoll eingesetzt werden und sich ihr Potenzial entfalten kann, ist Offenheit sowohl auf organisatorischer als auch auf technologischer Ebene Voraussetzung. Das gilt beispielsweise für ein offenes Datenformat in einem B2B-Konsortium, für das ein gemeinsamer Standard vereinbart werden muss. Auch bezüglich der Interaktionspunkte muss Offenheit herrschen – hierfür sind gemeinsame Schnittstellen nötig. Offenheit bedeutet außerdem, dass die Daten dezentral liegen (Distributed Ledger) und jeder Teilnehmer die Möglichkeit hat, mit einer eigenen Blockchain-Anbindung zu arbeiten. In jedem Fall gilt: Ohne Transparenz auf technologischer Ebene gibt es keinen echten Business-Mehrwert von Blockchain.

6. Vertrauen kommt vor Blockchain und Digitalisierung. Blockchain erzeugt nicht automatisch Vertrauen in die Business-Partner. Dies können oft nur menschliche Beziehungen und Gewohnheiten schaffen. Denn in der Praxis wird technologischen Lösungen nach wie vor eher misstraut. Wichtig sind daher Maßnahmen wie Mitarbeiterschulungen, die End-Nutzer der Anwendung benötigen ein Verständnis für die neue Technologie und ihren Mehrwert. Ansonsten bleibt das mobile Endgerät in der Schublade und es werden weiterhin Zettel ausgefüllt.

Weitere Informationen: redaktion@ehi.org