Ein außergewöhnliches Material zu finden, ist heute kein Problem mehr. Eher ist es eins, sich in der Fülle des Angebots für das richtige zu entscheiden. Der Wunsch des stationären Einzelhandels, der E-Commerce-Konkurrenz mit einem besonderen Ambiente Paroli zu bieten, befeuert die Innovationsfreude, die sich momentan rund um Werkstoffe für den Laden- und Messebau abzeichnet. Ob streichbares Echtmetall (von Concept Surface), Furnier aus Bananenstaude (von Europlac), bieg- und rollbares Sperrholz (von Ply Project) oder Tapete mit integrierten LED-Leuchten (von Architects Paper) – nichts scheint mehr unmöglich. Materialagenturen wie das Unternehmen Raumprobe aus Stuttgart oder Material Connexxion aus Köln helfen Planern und Architekten dabei, den Überblick zu behalten und die projektbezogen passende Wahl zu treffen.

Tapete mit integrierter LED-Beleuchtung: das LED-Wallpaper von Ingo Maurer by Architects Paper (Foto: Architects Paper)

Tapete mit integrierter LED-Beleuchtung: das LED-Wallpaper von Ingo Maurer by Architects Paper (Foto: Architects Paper)

Dabei geht es nicht nur um die Funktion, sondern auch um die „Sprache“, die die Materialien sprechen. Das Ladenbauunternehmen Kraiss aus Bad Urach hat eine Datenbank entwickelt, in der über 3.200 Begriffe mit psychologischen Erkenntnissen hinterlegt sind. Wenn sich ein Händler zum Beispiel als „familienfreundlich“ positionieren möchte, gibt das System datenfundiert statt nach Bauchgefühl Auskunft, welche Materialien, Oberflächen, Formen und Farben diesen Wert widerspiegeln. Aus der Summe der Begriffseingaben generiert die Datenbank Design-Empfehlungen.

Das „Image“ eines Materials ist international manchmal unterschiedlich, auch das ist in Form gezielter Verwendung bzw. Vermeidung zu beachten. Wer hierzulande Buche sieht, erinnert sich aus seiner Lebenserfahrung heraus oftmals an sein Jugendzimmer, wer Fichte sieht, denkt höchstwahrscheinlich an Ikea, und bei Marmor liegt die, aktuell nicht sehr positiv besetzte, Assoziation an Banken nahe. „Bei der Einrichtung des Concept Stores der Deutschen Bank Unter den Linden in Berlin haben wir bewusst alle Materialien außen vor gelassen, die protzig wirken könnten“, berichtet Karl Schwitzke, Geschäftsführender Gesellschafter von Schwitzke & Partner, Düsseldorf. Und er fährt fort: „Geölte Eiche ist das Lieblingsmaterial der Deutschen bei Fußböden. In arabischen Ländern indes müssen es Steinbeläge sein, Teppich und Holz funktionieren dort nicht, die Optik muss kühl sein.“ Das international tätige Designbüro Schwitzke & Partner beschäftigt Mitarbeiter aus 23 Nationen, um mit seinen Entwürfen regionsspezifisch auf den Punkt zu treffen. Hannes Bäuerle, Inhaber von Raumprobe, hat erkannt: „Selbst in Deutschland gibt es von Nord nach Süd erkennbare Unterschiede bei den Materialvorlieben.“ 

Organoide Beschichtungen

Dennoch sind die übergeordneten Trends aktuell recht einheitlich. „Wir sehen im Retail-Segment das Zusammentreffen zweier Entwicklungen: natürliche Materialien und individuelle Designs“, sagt Klaus Monhoff, Leiter Design- und Dekormanagement der Egger Gruppe aus St. Johann im österreichischen Tirol. „Das Thema Natur ist der große Trend“, meint auch David Segger, verantwortlich für den Vertrieb bei Kreos, Bad Wurzach. Das Unternehmen, das als Werksvertretung auf innovative Plattenwerkstoffe und Oberflächen spezialisiert ist, hat zum Beispiel organoide Dekorbeschichtungen neu im Programm. Weiteres Highlight sind Moos-Platten in 20 Farben, die akustisch wirksam sind. Die Moose werden in Skandinavien gezüchtet und in Italien „veredelt“. Sie leben allein von Luftfeuchtigkeit und tragen somit zu einem guten Raumklima bei – auch visuell.

Vertikale Indoor-Begrünung sieht schön aus und sorgt für ein gutes Raumklima. (Foto: Freund)

Vertikale Indoor-Begrünung sieht schön aus und sorgt für ein gutes Raumklima. (Foto: Freund)

Die Firma Freund aus Berlin sorgte schon auf der letzten EuroShop mit ihrer „Wonderwall“, einer vertikalen Grünfläche, für Aufsehen. Indoor-Begrünung befindet sich seitdem auf dem Vormarsch, inzwischt vertreibt Freund sogar Mooslabyrinthe als akustisch wirksame Deckensegel.

Echte Materialien sind gefragt, aber nicht immer funktional und bezahlbar. Leewenburgh Fineer (Vertrieb über WVS-Ostrowski, Bad Wurzach) fertigt furnierte Verbundplatten sowie lackierte und rohe Echtholzschichtstoffe, deren Oberflächen aus alten verwitterten Eichenbalken bestehen. Immer perfekter wird die Natur nachgeahmt, indem die Dekore – ob Holz, Stein, Textilien, Leder, Stahl oder Keramik – nicht nur optisch authentisch wirken – hier spielt Digitaldruck eine wichtige Rolle –, sondern auch Strukturen und „Gebrauchsspuren“ haben.

Reduzierter Materialeinsatz

Bei der Entscheidung für Materialien spielt immer stärker das Thema Nachhaltigkeit mit. Der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen und Recyclaten, der Verzicht auf umwelt- und gesundheitsschädliche Substanzen sowie mehr Ressourceneffizienz, beispielsweise reduzierter Materialeinsatz, sind hier zu nennen. Bei der Holzwerkstoff-Innovation „Balance Board“ von Pfleiderer aus Neumarkt zum Beispiel wird der Holzeinsatz pro Platte bis zu 35 Prozent durch ein Biomasse-Granulat aus schnell nachwachsenden Einjahrespflanzen ersetzt, wodurch sich auch das Gewicht im Vergleich zu herkömmlichen Spanplatten reduziert und zusätzlich Transportkosten sowie CO2-Emissionen eingespart werden. „Wenn man dem Thema Nachhaltigkeit ernsthaft nachgeht, ist es sehr komplex“, meint Karl Schwitzke. Das treibt die Preise. „Mehr Geld auszugeben kommt für die meisten Einzelhändler aber nicht in Frage.“

Die Metallwerkstoffplatte kann individuell geprägt werden. (Foto: Homapal)

Die Metallwerkstoffplatte kann individuell geprägt werden. (Foto: Homapal)

Ein ähnlicher Balanceakt ist auch mit dem Wunsch nach dem Besonderen, nach mehr Individualität verbunden. Hier sind ebenfalls kreative Lösungen gefragt. „Customize it“ heißt das neue Motto bei Homapal, Herzberg. Kunden können sich ihre Wunsch-Oberflächen zum Beispiel aus den Serien „Metall“, „Magnet“ oder „Holz“ auswählen und diese mit individuellen Schriften oder Logos versehen lassen. Die Prägungen können positiv (erhaben auf der Platte) oder negativ (in die Platte eingepresst) erfolgen, in verschiedenen Höhen und Tiefen. Die Serie „Metall“ beinhaltet zwei hochglänzende Dekore „Lava“ und „Vulcano“, die von Material Connexxion als „Material of the Month“ ausgezeichnet wurden und den Charakter von kochendem Metall suggerieren. Die amorphen Strukturen, die durch einen speziellen Prägeprozess auf eloxierte Aluminiumflächen transferiert werden, schaffen – insbesondere in Kombination mit Licht (auch dies ist ein Trendthema) – Atmosphäre. Genau um die geht es – und es gibt viele Wege dorthin.

Fotos: Schwitzke (1), Architects Paper (1), Freund (1), Homapal (1)

Gesucht: bezahlbare Einzigartigkeit

Maren Wilbrandt, Managerin Dekore und Strukturen bei Pfleiderer Holzwerkstoffe, über aktuelle Materialvorlieben und die Gründe dafür.

Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Material- und Oberflächen-Trends für den Retail-Bereich?

Als Gegenpol zu unserer schnelllebigen, technisierten Zeit und der künstlichen Welt des Internets wächst die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, Handwerklichen, Wertigen sowie nach Ruhe. Hölzer mit natürlichen Optiken bis hin zum Vintage-Look werden eingesetzt. Dominant sind Weichhölzer oder Eiche mit geschrubbten oder gebürsteten Oberflächen. Dazu gesellt sich Stein in dunklen, fast schwarzen Farben sowie unterschiedliche Arten von Metallen mit gebürsteter, polierter oder gealterter Oberfläche. Weiß-Nuancen, natürlich-matt oder hochglänzend, setzen Kontraste zur Natürlichkeit der Hölzer und Steine. In letzter Zeit finden auch immer mehr „Schlammfarben“ ihren Einsatz.

Laut Materialdatenbank der Firma Raumprobe ist Holz nach wie vor die Nummer eins der nachgefragten Materialklassen. Sie haben dafür bestimmt eine Erklärung.

Holz ist und bleibt der Klassiker. Es steht für eine gewisse Wertigkeit, Beständigkeit und auch Gemütlichkeit. Es vermag auf einen Blick Gefühle in uns auszulösen, wenn es beispielsweise an die Einrichtung bei Oma und Opa oder den letzten Skiurlaub erinnert. Dabei ist es egal, ob es sich um Echtholz oder eine Reproduktion handelt. Außerdem vereint ein Holz oder Holzwerkstoff weitere positive Eigenschaften in sich, insbesondere, wenn wir an die Umwelt und zum Beispiel CO2-Bilanz denken.

Welche neuen Herausforderungen stellen Ihre Auftraggeber an Sie?

Unsere Kunden suchen nach einer gewissen Individualität, nach dem Besonderen – doch das muss zugleich bezahlbar sein. Zudem steigt die Sensibilisierung für Nachhaltigkeit. Zunehmend werden ganze Gebäude mit nachhaltigen Werkstoffen gebaut oder umgebaut, um eine entsprechende Klassifizierung zu erreichen. Unsere Produkte werden von unserem Produktmanagement in diesem Sinne modifiziert und weiterentwickelt.