35 Handelsunternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nahmen im Rahmen der Studie an einer Online-Befragung teil, die um 6 Interviews in Handelsunternehmen, die Multichannel-Retailing betreiben, ergänzt wurde. Multichannel-Retailing hat in den letzten Jahren seine Bedeutung insbesondere durch die rapide Entwicklung des E-Commerce erlangt, dessen Umsatz sich nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels bvh seit 2003 auf 33,5 Mrd. Euro nahezu verzehnfacht hat.
Die Ausgestaltung der Logistik wird in den Unternehmen in erheblichem Ausmaß von den jeweiligen Geschäftsmodellen im Multichannel-Handel mitbestimmt. Die Bandbreite reicht von Unternehmen, die sich bislang ausschließlich auf den stationären Handel konzentrierten und nun zusätzlich einen Onlineshop betreiben über klassische Multi-Retailer mit Kataloggeschäft, eigenen stationären Geschäften und Shops in Geschäften anderer Handelsunternehmen bis hin zu bislang reinen Onlineshops, die dazu übergehen, eigene stationäre Läden zu eröffnen.
Die Prozessabläufe im klassischen Einzelhandel, wo es darum geht, vom Lager aus die Einzelhandelsgeschäfte mit Sammellieferungen zu versorgen, unterscheiden sich gegenüber dem E-Commerce, bei dem es gilt, Einzelsendungen an Endkunden zusammenzustellen, spätestens ab der Warendistribution. Meist übernimmt von hier ein KEP-Dienstleister den Transport zum Besteller – es sei denn, der Händler offeriert den Kunden eine Selbstabholung zum Beispiel in der Filiale oder einer Drive-in-Station. Die Studie untersucht u.a. die organisatorische Einbindung der Logistik, die Warenlagerung und -distribution, das Retourenmanagement und die Logistik-IT.
Auslieferung oder Abholung?
52 Prozent der befragten Unternehmen haben die Organisation von stationärem und Online-Vertrieb in einer gemeinsamen Abteilung angesiedelt, 34 Prozent in separaten Abteilungen und 14 Prozent in getrennten Firmen. Für eine gemeinsame Abteilung spricht eine bessere Koordinierbarkeit der verschiedenen Systeme. Zu vermuten ist, dass eine Ausgliederung des Online-Vertriebs in eine separate Abteilung erst dann erfolgt, wenn dieser eine bestimmte Umsatzgröße erreicht hat.
Die Warenbeschaffung erfolgt bei 91 Prozent der befragten Unternehmen über alle Kanäle hinweg in einer gemeinsamen Abteilung, was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass bei den meisten Händlern das stationär und das online angebotene Sortiment größtenteils übereinstimmt und sich außerdem Konditionenvorteile ergeben können. Wenn ein Handelsunternehmen sein Vertriebskonzept weiter differenziert, hat das keine zwangsläufige Auswirkung auf die Frage, ob bestehende Lager erweitert oder neue Standorte eröffnet werden. Bei 54 Prozent der Befragten findet beides statt. Beim Rest ist der Anteil derjenigen Unternehmen, die bestehende Lager erweitern, mit 34 Prozent wesentlich höher als derjenige, der angegeben hat, neue Standorte zu eröffnen.
Hier stellt sich die Frage, ob die neu hinzugekommenen Vertriebswege, meist über das Web, bereits ein so hohes Volumen erreicht haben, dass sich ein eigener Standort dafür rechnet. Bei 76 Prozent der Befragungsteilnehmer findet die Kommissionierung von Online-Bestellungen auf der Lagerebene statt (siehe obere Grafik), nur bei 3 Prozent ausschließlich in den Filialen. Bei Lebensmitteln macht beispielsweise eine Filialkommissionierung Sinn, da kurze Transportwege zum Kunden verlangt werden – allerdings müssen im Laden dann auch die entsprechenden Kapazitäten für Lagerung und zusätzlichen Handlingsaufwand zur Verfügung stehen.
Neue Servicekonzepte – praxistauglich?
Bei der Auslieferung von Online-Bestellungen an den Endkunden dominieren mit einem Anteil von 83 Prozent die Logistik- bzw. KEP-Dienstleister, die für die typischen Sendungsstrukturen, also viele Anlieferpunkte mit vergleichsweise kleinen Liefermengen, über die am besten geeigneten Transportsysteme verfügen.
31 Prozent bieten auch die Selbstabholung in der Filiale oder Abholstation an, 9 Prozent in einer Drive-in-Station. In diesem Bereich werden aktuell in verschiedenen Projekten eine Reihe neuer Servicekonzepte auf ihre Praxistauglichkeit getestet, zum Beispiel die Einbindung von Taxiunternehmen, die Mitnahme der Sendung durch andere Kunden, die in der Nähe des Adressaten wohnen oder die Deponierung der Ware in Paketstationen unterschiedlicher Art. Ziel ist es, unnötige Transporte, teilweise auch durch Abwesenheit des Empfängers bedingt, zu vermeiden. Diese Konzepte sind insbesondere für Produkte entwickelt, die sich vom Volumen und Gewicht her dafür eignen. Schwere oder übergroße Bestellungen, beispielsweise aus dem Baumarktsortiment können, wenn sie denn bis an die Haustür gebracht werden sollen, nicht mit dem Standardfuhrpark eines KEP-Dienstleisters transportiert werden. Aber auch hier stehen genug Alternativen auf dem Dienstleister-Markt zur Verfügung.
Wie klappt´s mit der Bewältigung von Retouren?
Die Retourenquote ist bei den Befragten im Online-Vertrieb mehr als doppelt so hoch wie im stationären Bereich, deshalb ist im Multichannel-Handel ein effizientes Retourenmanagement unverzichtbarer Bestandteil der Logistik. Bei 67 Prozent der befragten Händler können Retouren sowohl über Versand zurückgeschickt, als auch in den Filialen abgegeben werden. 71 Prozent der befragten Händler übernehmen grundsätzlich die Versandkosten für Retouren, nur bei 7 Prozent trägt sie ausschließlich der Kunde. Aufgrund des harten Wettbewerbs sehen sich viele Händler zu diesem Service gezwungen. Dass man andererseits auch mit einem ausgefeilten Logistikservice die Zahl der Retouren verringern kann, berichten mehrere Unternehmen, die feststellen konnten, dass die Retourenquote sinkt, je zügiger eine Ware ausgeliefert wird.
Bei Saisonware oder Aktionen, die nur in einem limitierten Zeitraum angeboten werden, stellt sich unabhängig vom Vertriebskanal die Frage, wie mit den eventuell übrig bleibenden Restbeständen zu verfahren ist. Je nach Vertriebskanal präferiert der Handel mit einem Anteil der befragten Unternehmen zwischen 39 und 45 Prozent den Verkauf in den eigenen Filialen, meist zu reduzierten Preisen. Einige Unternehmen, häufig im Textilhandel, betreiben zu diesem Zweck auch spezielle Restposten-Märkte. 50-61 Prozent der Händler gab an, je nach Sortiment oder Lieferant unterschiedlich vorzugehen. Hier kommen als Alternativen auch die Rücksendung an den Lieferanten oder der Weiterverkauf an spezialisierte Postenhändler in Betracht. 81 Prozent der befragten Händler verfügen über ein vertriebskanalübergreifendes IT-Konzept, was auf wirtschaftliche Vorteile bei der Wartung sowie auf eine koordinierte Warenbestandsverwaltung zurückzuführen sein kann. Im stationären Vertrieb setzen 61 Prozent auf eine Standardsoftware und 39 Prozent auf eine Eigenentwicklung, während im Online-Segment die Relation 46 zu 54 Prozent beträgt (siehe untere Grafik). Scheinbar decken Standardlösungen in den nicht stationären Vertriebskanälen die unternehmensindividuellen Anforderungen noch nicht so gut ab. Einige Logistikleiter argumentierten in den Interviews, dass man eigenentwickelte Softwarelösungen aufgrund einer größeren Unabhängigkeit von IT-Dienstleistern präferiere. Aus Erfahrung sei es vorteilhaft, wenn eigene Mitarbeiter die Wartungsarbeiten durchführen können.
Zusammengefasst kann man feststellen, dass sich immer mehr Händler aufgrund der starken Zunahme des E-Commerce dem Thema Multichannel-Logistik stellen müssen. Die wesentlichen Baustellen sind dabei die logistische Integration des neu hinzugekommenen Vertriebskanals in die vorhandene Infrastruktur – dies überwiegend auf Lagerebene, die Errichtung eines schnellen, gleichzeitig aber auch zuverlässigen Auslieferungssystems, häufig in Kooperation mit darauf spezialisierten Dienstleistern, eine effiziente IT-Integration sowie ein effizientes Retourenmanagement. Die Studie mit den detaillierten Ergebnissen wird im Frühsommer veröffentlicht.
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