KI nimmt im Retail Fahrt auf | stores+shops

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Auf ihrem Weg durch den Markt erfassen die Bodenreiniger mithilfe einer KI-Lösung von Scandit die Warenbestände.
Foto: Scandit

KI nimmt im Retail Fahrt auf

Kaum ein großes Handelsunternehmen kommt noch ohne künstliche Intelligenz aus. Das Spektrum der Anwendungen reicht schon heute von der Sortiments- und Bedarfsplanung über Dynamic Pricing bis hin zur Zähmung schwarzer Schwäne. Und es kommen immer neue Retail-Lösungen mit KI-Komponenten hinzu.

Ein anschauliches Beispiel für den gelungenen Einsatz von KI im Handel kommt aus Großbritannien, vom Einzelhändler Morrisons. Dort haben die Lösungen des KI-Spezialisten Blue Yonder die Warendisposition zu über 90 Prozent automatisiert. Die Mitarbeitenden haben dadurch mehr Zeit, sich um die Kundschaft zu kümmern – was bei dieser offensichtlich gut ankommt. „Morrisons hat damit seine Position im britischen Einzelhandel maßgeblich ausgebaut“, sagt Andreas Nierlich, Director Retail DACH bei Blue Yonder.

KI-Anwendungen decken schon heute ein breites Spektrum an Anwendungen für den Handel ab.

KI-Anwendungen decken schon heute ein breites Spektrum an Anwendungen für den Handel ab.
Foto: Pegasystems

Ein anderes Exempel ist der Textilhändler Bonprix. Als im März 2020 die Pandemie begann, wurde das Einkaufsverhalten vom einen auf den anderen Tag komplett auf den Kopf gestellt. Elegante Garderobe, Kleidung fürs Büro und ähnliche Artikel wollte niemand mehr haben. Dafür stieg die Nachfrage nach Jogginghosen und anderer bequemer Kleidung.

Mithilfe einer Blue-Yonder-Lösung konnte auf diese drastische Umwälzung der Nachfrage innerhalb von zwei Wochen reagiert werden, was laut Nierlich dazu beigetragen hat, dass Bonprix gut durch die Pandemie gekommen ist.

KI – was ist das genau?

Künstliche Intelligenz ist ein interdisziplinäres Forschungs- und Anwendungsgebiet. Eine gängige Definition lautet: „Ein System, das eine Aufgabe ausführt, die bei der Ausführung durch einen Menschen Intelligenz erfordern würde.“ In der Retail-Praxis beispielsweise werten Algorithmen historische Daten aus, um zu verstehen, welche Faktoren die Nachfrage wie stark beeinflussen. Dazu gehören Daten zu bisherigen Abverkäufen, Artikelstammdaten, Ferien- und Feiertagen, Promotionen, aber auch zur Wetterprognose.

Präzise Prognosen

Die Algorithmen können auf dieser Basis automatisch ermitteln, wie stark beispielsweise das Wetter die Nachfrage nach einem Artikel an einem bestimmten Tag in einer Filiale beeinflusst, berücksichtigen dabei aber gleichzeitig den Einfluss des Preises, des Wochentags, ob es aktuell Promotionen gibt, mögliche Mitnahme- oder Kannibalisierungseffekte und vieles mehr. Als Ergebnis kann man selbst für komplexe Sortimente mit hoher Präzision die Wahrscheinlichkeit für die zu erwartende Nachfrage prognostizieren.

Ein Mensch kann diese riesige Datenmenge nicht sichten, analysieren und daraus dann Wahrscheinlichkeiten ableiten, zumindest nicht in dieser Granularität und Genauigkeit. Außerdem lässt der Mensch zwangsläufig sein Bauchgefühl mit einfließen. Das tut eine KI nicht. Sie arbeitet rein daten- bzw. faktenbasiert.
(Quellen: Blue Yonder, Pegasystems)

Aufmerksame Reinigungsmaschinen

Die Liste der Best Practices im Retail auf Basis von KI wird täglich länger, viele Systemanbieter sind hier inzwischen aktiv. Luciane De Carvalho, Marketing Manager Industry Solutions bei Scandit, nennt ein weiteres Beispiel aus den USA. Hier sind die beiden Lösungen „Shelf View“ und „Brain OS“ bei einem Händler in Kombination im Einsatz.

Die KI-gestützte Lösung „Shelf View“ ermöglicht autonome Regalsichtbarkeit in Echtzeit.

Die KI-gestützte Lösung „Shelf View“ ermöglicht autonome Regalsichtbarkeit in Echtzeit.
Foto: Die KI-gestützte Lösung „Shelf View“ ermöglicht autonome Regalsichtbarkeit in Echtzeit.

Shelf View analysiert als grundlegende Computer-Vision-Technologie Millionen von Bildern pro Tag. So hilft sie bei der Lokalisierung von Warenbeständen, der Inventur sowie Überprüfung der Preisgenauigkeit – und analysiert dafür sogar Produkte und Paletten in den obersten Regalebenen. Brain OS ist die dazugehörige KI-Plattform. Beim US-Händler ist die Software in die Flotte autonomer Bodenreinigungsmaschinen der Filialen integriert und erfasst in Echtzeit Daten im Geschäft.

„Die nahtlose Zusammenarbeit von Shelf View mit der KI-Plattform Brain OS ermöglicht eine skalierbare, zugängliche und kosteneffiziente Automatisierung sowie Datenerfassung durch den Einsatz von autonomen Bodenwischgeräten und anderer mobiler Devices“, fasst Luciane De Carvalho den Nutzwert zusammen. Wie andere KI-Anwendungen adressiere auch Shelf View einige der grundlegenden Herausforderungen, mit denen Einzelhändler heute konfrontiert seien: u. a. steigende Mitarbeiterkosten und geringere Gewinnmargen.

Der Bedarf an Automatisierung wird weiter steigen. Die Anwendungsfelder von KI skalieren dabei die Supply Chain entlang, bis hin zum Sourcing einzelner Rohstoffe, wie Baumwolle oder Getreide.

Andreas Nierlich

Director Retail DACH, Blue Yonder

Personalisierte Angebote

Ein bereits klassisches Beispiel für den gut funktionierenden Einsatz von KI im Einzelhandel sind personalisierte Angebote in Echtzeit. Online- oder Mobile-Kanäle zeigen Produkte entweder nach bestimmten Parametern oder auf Grundlage von Kundenprofilen mit ähnlichem Kaufverhalten an – das bekannte „Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch …“ Hier scheinen die Möglichkeiten aber noch lange nicht ausgereizt.

Ein echtes One-to-one-Engagement für den Kunden setze nämlich „einen noch umfassenderen Einsatz von KI voraus, um die Wahrscheinlichkeit einer positiven Reaktion auf der Basis von Echtzeit-Kontextdaten vorherzusagen“, so Peter van der Putten, Director Decisioning & AI Solutions bei Pegasystems. Nutzer hätten mit dieser Methode eine Verdrei- bis Vervierfachung der Klickraten im Vergleich zum klassischen Targeting festgestellt.

Van der Putten weist aber darauf hin, dass derartige Anwendungen nicht automatisch funktionieren, sondern einen gewissen Background im Handelsunternehmen voraussetzen: „Dabei geht es um mehr als nur maschinelles Blackbox-Lernen. Unternehmen müssen auch in der Lage sein, eigene Strategien, Prioritäten und Richtlinien zu formulieren, einschließlich ethischer Anforderungen.“

Solche personalisierten und KI-gestützten Produktangebote kommen nicht nur im E-Commerce, sondern auch in stationären Kanälen zum Einsatz; laut Pegasystems vornehmlich bei Unternehmen, die direkte vertragliche Beziehungen zu ihren Kundinnen und Kunden unterhalten.

KI wird immer häufiger eingesetzt, um die Effizienz von Prozessen zu steigern. So können Intelligent Decisions die Prozesse für Lieferanten- Onboardings, Logistik und Lieferkette, das Qualitätsmanagement, den Einkauf sowie die Garantie- und Rückgabevorgänge steuern.

Peter van der Putten

Director Decisioning & AI Solutions, Pegasystems

Auch Bizerba erleichtert Händlern mit KI-Anwendungen das Leben. Ein aktuelles Beispiel sind die Smart-Shelf-Lösungen bei Roberta Goods in Stuttgart, wo sie eine zuverlässige Bestandsüberwachung im unbemannten Frische-Bereich ermöglichen. Das Startup Smark hat Anfang 2022 das neue Konzept als kleinen, unbemannten Store eröffnet.

Smart-Shelf-Lösung von Bizerba bei Roberta Goods in Stuttgart

Smart-Shelf-Lösung von Bizerba bei Roberta Goods in Stuttgart
Foto: Bizerba

Roberta Goods macht rd. 300 Artikel aus den Bereichen Fresh Food, Getränke, Kaffee und Lebensmittel durch ein automatisches Warenlager rund um die Uhr verfügbar. Zusätzlich werden frische Produkte wie Brot, Obst und Gemüse im Vorraum zur Selbstbedienung angeboten. Sie liegen in „intelligenten Regalen“ aus, die mithilfe der Smart-Shelf-Lösung von Bizerba überwacht und gesteuert werden.

„Die intelligenten Regale eröffnen völlig neue Möglichkeiten für effizientes Bestandsmanagement und dienen im Fall von Roberta Goods auch der zuverlässigen Überwachung im unbewachten Selbstbedienungs-Bereich“, so Bizerba- Sprecher Nico Rewes.

„Unsere Installationen bei Roberta bieten viel Raum für Erweiterungen und sollen bereits in naher Zukunft durch zusätzliche KI-Anwendungen ergänzt werden, um den automatisierten Verkauf von Frische maximal zu unterstützen.“

Künstliche Intelligenz und Machine Learning sind mittlerweile etablierte Technologien mit einem Ökosystem, das auf standardisierten Frameworks, Modellen und Plattformen aufsetzt.

Dr. Bernhard Niedermayer

Head of AI, Cloudflight

Plötzliche Krisen meistern

Der Bedarf an Automatisierung am POS wird weiter steigen – da sind sich alle Systemhäuser sicher. Das Jahr 2022 werde KI endgültig zum Durchbruch verhelfen. Nicht weniger als das erwartet Dr. Bernhard Niedermayer, Head of AI bei Cloudflight. Es würden sich jetzt Standards etablieren und neue, konkrete Einsatzmöglichkeiten hinzukommen.

Laut Cloudflight haben sich die Investitionen in KI-Unternehmen im vergangenen Jahr weltweit verdoppelt. Dieser Trend wird laut Niedermayer auch im Jahr 2022 weitergehen, und die Investments würden weiter wachsen. „Den stärkeren Trend sehen wir aber darin, dass viele KI-Anwendungen wie etwa automatische Bildbearbeitung, Vorhersage-Techniken und Entscheidungssysteme das Experimentier- und Prototypen-Stadium verlassen haben.“

Künstliche Intelligenz und Machine Learning seien mittlerweile etablierte Technologien mit einem Ökosystem, das auf standardisierten Frameworks, Modellen und Plattformen aufsetzt. Dadurch ließen sich KI-Anwendungen „in relativ kurzer Zeit kostengünstig entwickeln und anschließend produktiv einsetzen“. „Inzwischen kommt kein größerer Händler mehr ohne KI-Anwendungen aus, welche die Planung und Disposition nachfrageorientiert optimieren“, sagt Andreas Nierlich von Blue Yonder.

Schwarze Schwäne zähmen

Die Anwendungsfelder skalieren entlang der gesamten Supply Chain – bis hin zum Sourcing einzelner Rohstoffe wie Baumwolle oder Getreide. Damit kann KI sogar plötzlichen Großkrisen – den berüchtigten schwarzen Schwänen – zumindest einen Teil ihres Schreckens nehmen. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur Nachfragesignale frühzeitig die gesamte Lieferkette entlang senden, sondern umgekehrt auch Signale einer Lieferkettenunterbrechung. Damit wiederum wird die Planbarkeit beschleunigt und optimiert. „Eine intelligente Lieferkette trägt zur Nachhaltigkeit von Händlern und ihren Lieferanten bei“, betont Nierlich.

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