Starke Retail-Marken sind nicht nur wegen ihrer Einzigartigkeit oder ihrer Servicequalität erfolgreich, sondern auch weil sie es verstehen, glaubhafte Botschaften zu vermitteln. Unternehmerische Werte müssen mehr als Worte sein, sie müssen für den Konsumenten glaubwürdig erlebbar werden, forderte Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer des Rats für  Formgebung in seinem Eröffnungsvortrag. Sagen, was man denkt; umsetzen, was man sagt. Nur wer diese Echtheit bieten kann und die entsprechende Haltung glaubwürdig am POS vermittelt, werde zukünftig erfolgreich sein. 

Ein Best Practice-Beispiel aus dem Lebensmittelhandel stellte Ramin Goo, Geschäftsführer der Kochhaus GmbH aus Berlin vor. 2010 eröffnete das Start-up-Unternehmen sein erstes „begehbares Kochbuch“ in Berlin. Das Geschäftsmodell ist einfach erklärt: Statt meterlanger Warenregale oder Theken mit Lebensmittelprodukten finden die Kunden an frei stehenden Tischen voller frischer Zutaten alles, was  sie für ein bestimmtes Gericht brauchen – gegliedert nach Vorspeisen, Hauptspeisen und Nachspeisen. Das Angebot bündelt sich zu 18 verschiedenen Rezepten, von denen 2 bis 3 wöchentlich wechseln. Die Rezepttische in einem modernen, funktional ausgestatteten Verkaufsraum sind mit großen farbigen Tafeln versehen, die auf einen Blick zeigen, welche Zutaten für ein Gericht benötigt werden. Eine Schritt-für-Schritt-Kochanleitung in Bildern, die jeder Kunde erhält, unterstreicht die Glaubwürdigkeit, dass die Komposition auch tatsächlich gelingt. 

One-Stop-Shopping

Das anfangs für seinen Mut zwar bewunderte, aber auch mit Skepsis bedachte Geschäftsmodell „One Stop Shopping für ein perfektes Dinner“ hat sich bewährt. Kürzlich hat in München das elfte Kochhaus eröffnet. Es ist das zweite Haus, das im Franchisesystem geführt wird. Die Geschäfte sind in der Regel 100 bis 200  qm groß und befinden sich in City-Lagen, wo sie das urbane Publikum an Single- und Kleinhaushalten am besten erreichen. „Wir haben  den Trend erkannt, dass die Verbraucher Lebenmittel einkaufen, um sie am selben Tag zu konsumieren“, sagt Ramin Goo. 2012 setzte das Unternehmen 3,1 Mio. Euro um, für das laufende Jahr kalkuliert Kochhaus mit einer Verdoppelung des Umsatzes.

Das Base Camp in Berlin

Das Base Camp in Berlin

Den wohl ungewöhnlichsten Mobilfunk-Laden in Deutschland stellte Lars Debbert, Architekt und Geschäftsführer des Planungsbüros Nest One vor. Das „Base Camp“ in Berlin, im April 2012 in den Kaiserhöfen/Unter den Linden  eröffnet, vereint neben dem klassischen Shop auch ein Café sowie eine Event-Fläche.  Als „Concept Store, der die mobile Kommunikation  lebt“ (Debbert) bietet Base eine Vielzahl von „Consumer Touchpoints“ im Store. Digitale Oberflächen von Möbeln, die wie Werkbänke  aussehen, laden die Kunden zum Ausprobieren der Produkte ein. Steckdosen an  den Tischen im Gastronomiebereich signalisieren: Hier könnt ihr nicht nur essen, sondern auch arbeiten. Auf der angeblich weltweit größten Twitter-Installation laufen die aktuell am häufigsten auf Twitter diskutierten Begriffe. Die Installation soll Besuchern als Anregung dienen, selbst aktiv zu werden und digitale Kommunikation auszuprobieren. Dafür liegen im Base Camp Smartphones und Tablet-PC aus, die man kostenlos und ungezwungen testen kann. Die Vernetzung von Shop, Café und Social-Media-Plattform spricht laut Debbert nicht nur die Berliner Webszene an, sondern ist auf eine breite Zielgruppe ausgerichtet, „vom Laufpublikum  bis zum Silver Ager.“ 

Wie die Image- und Markenwerte einer renommierten Sportwagen-Marke im Interieur von Verkaufshäusern ihren Ausdruck finden, demonstrierte Sylvia Talmon von The Store Designers am Beispiel des neuen Showroom-Konzepts von Porsche. Hervorzuheben sind die vielen funktionalen Details der in einer klaren Schwarz-Weiß-Formensprache gestalteten Möbel. Die neue, zeitlos moderne Inneneinrichtung folgt der von modischen Strömungen unabhängigen, bewährten Architektur der Showroom-Gebäude und unterstützt damit die Botschaft des Porsche-Markenkerns „Intelligence Performance“. 

Weitere Informationen: www.german-design-council.de

Ladenmarke ganzheitlich inszenieren

Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer des Rat für Formgebung/ German Design Council zu der Bedeutung des Faktors „Glaubwürdigkeit“ und den Konsequenzen der zunehmenden Digitalisierung für die Markenarchitektur am POS.

Herr Kupetz, warum ist der Faktor Glaubwürdigkeit so wichtig für eine Retail Brand und wie kann das Markendesign am Point of Sale Glaubwürdigkeit und Authentizität vermitteln?

Glaubwürdigkeit ist gerade am Point of Sale ein so wichtiges Thema, weil sich dem Kunden dort die größtmögliche Menge an Kontaktpunkten mit der jeweiligen Marke bietet. Es gilt, die Marke unter vielfältigen Gesichtspunkten ganzheitlich zu inszenieren – dabei spielen unter anderem die Lage des POS, die Licht- und Klang-Gestaltung, Mobiliar, Verhalten des Service-Personals sowie natürlich das Produkterlebnis als solches eine Rolle. Wenn an dieser entscheidenden Stelle einzelne Aspekte der Markeninszenierung unstimmig und damit nicht authentisch sind, verliert die Marke unmittelbar an Glaubwürdigkeit und damit an Attraktivität für den Kunden.

Welche Konsequenzen erkennen Sie aus der wachsenden Bedeutung des Online-Handels für die Markenarchitektur am POS?

Wenn der Umsatz von Online-Shops unaufhaltsam steigt, dann müssen sich Unternehmen mit klassischem Retail-Geschäft fragen, ob hinter dieser Entwicklung vielleicht ein grundlegender Paradigmenwechsel steht, dem man mit entsprechenden Maßnahmen begegnen sollte. Konkret könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass sich der Point of Sale zukünftig mehr und mehr zum Point of Excellence entwickelt, der den Kunden ein ganz besonderes Markenerlebnis bietet. Ein Erlebnis, welches über digitale Kanäle schlicht nicht so umfassend vermittelt werden kann. Einige starke Marken – ich denke hier zum Beispiel an Nespresso – haben bereits erfolgreich vorgemacht, wie ein solcher „Poe“ als Marketing-Maßnahme zur langfristigen Kundenbindung fungieren kann, während der klassische Vertriebsweg in den Online-Kanal ausgelagert wird.

Immer mehr Online-Shops eröffnen Ladengeschäfte. Ehemalige „Pure Player“ stehen daher vor der Herausforderung, die Inhalte einer E-Commerce-Marke am Point of Sale zu kommunizieren. Welche Empfehlungen würden Sie diesen Händlern aus Sicht der Markenarchitektur mit auf dem Weg geben?

Bevor eine reine E-Commerce-Marke eine physische Präsenz erhält, sollte grundlegend geklärt werden, ob die Leitidee der Marke so stark ist, dass sie für den Kunden auch am Point of Sale die gewünschte Relevanz entwickelt. Wird die Frage positiv beantwortet, besteht eine große Herausforderung darin zu definieren, wie diese Leitidee der Marke in verschiedene Dimensionen – zum Beispiel das physische Erlebnis am Point of Sale – übertragbar ist. Das beginnt mit der Überlegung: Wie fühlt sich eine Marke, die vorher nur online vertreten war, denn überhaupt an? Wie riecht oder schmeckt sie und in welchem Kontext muss sie präsentiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen? Sobald diese Fragen schlüssig beantwortet sind, kann ein entsprechend ganzheitliches Erlebnis am POS generiert werden.