Stilbrüche: Nicht Unfall, sondern Einfall | stores+shops

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Dover Street Market New York: Designermode, im Baustellen-Ambiente präsentiert…scheinbar. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Installation des Künstlers Leo Sewell. (Foto: Dover Street Market)

Stilbrüche: Nicht Unfall, sondern Einfall

Durchgestylte Perfektion wird schnell langweilig in Zeiten, die alles jederzeit verfügbar machen. In der Dramaturgie von Läden zählen daher gezielte Irritationen und wohldosierte Provokationen zu den willkommenen visuellen Stilmitteln.

Wenn die Schaufensterfiguren bei Zara ein wenig derangiert dreinschauen, weil ihnen der Wimpernkranz auf der Wange statt überm Auge klebt, dann ist dies kein Unfall, sondern ein Einfall. Anti-Perfektion zieht Aufmerksamkeit auf sich. Ob der Betrachter stutzt, lacht, peinlich berührt ist, vielleicht sogar Mitleid verspürt oder Schadenfreude – er ist emotional berührt, und damit ist die Mission erfüllt. Störmanöver gehören in progressiven Department-Stores weltweit zum Instrumentarium der Inszenierung, betonte Christian Mikunda auf dem letzten Jahreskongress des dlv – Netzwerk Ladenbau im Mai. Destabilisation nennt der Trendforscher das Thema.

Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Kunden ist (fast) jedes Mittel recht. „Wer interessieren will, muss provozieren. Salvador Dalí, Meister des Surrealismus, gab für uns den Anstoß, mit Sehgewohnheiten zu brechen und mit diesem Stilbruch alltägliche Routinen zu negieren“, sagt Susanne Loibnegger, Leitung Dekoration & Styling im Modehaus Kastner & Öhler in Graz zu ihrem Deko-Konzept für 2014. Dieses fokussiert eine „übergeordnete Wirklichkeit“ und spielt mit Unbewusstem und Traumhaftem – Dalí lässt grüßen. Schaufenster, Eingang, Lichthof und Teile der Innenraumdekoration zeigen nicht nur Bekanntes und Greifbares, sondern visualisieren Träume, Visionen, Unwirkliches und Fantastisches.

Schmaler Grat

Wenn Prothesen aus dem ersten Weltkrieg im Schaufenster mit Mode zusammengebracht werden, wie es Christian Mikunda im Londoner Stadtteil Shoreditch beim Label YMC beobachtet hat, so wirft das Fragen auf. „Das Spiel mit stilistischen Brüchen ist ein Balanceakt, und man ist bemüht, ethische Grenzen nicht zu überschreiten. Wagt man sich auf dieses dünne Eis, ist das Risiko der Grenzüberschreitung hoch“, meint Susanne Loibnegger dazu.

Von einem Beispiel für diesen schmalen Grat zwischen provokantem Bruch und Entgleisung weiß auch Wolfgang Melzig, Inhaber der Storedesign-Agentur Scenario in Aachen zu berichten. Herz & Sohle ist ein Sneakers-Laden in Lippstadt, der von seinem Mutterhaus, einem Intersport-Geschäft, abgekoppelt wurde, um eine eigene, dem Produkt entsprechende Identität zu erhalten. „Wir wollten Vintage- und Heritage-Themen neu darstellen und wählten Assoziationen zwischen medizinisch und martialisch, zwischen Apotheke und Schlachterei“, so Melzig. Details wie eine ochsenblutfarbene Decke, Betonboden und die weiß geflieste, Metzgerei-ähnliche Theke mit alter Waage darauf wurden als Visualisierung gewählt. Die Idee, alte medizinische Glasgefäße mit eingelegten Organen, wie es sie früher in der Pathologie, der Apotheke oder im Biologie-Unterricht gab als Deko zu verwenden, verwarf Melzig als zu heikel. Das zeigt: Stilbruch und Irritation, die den Betrachter aus seinen alltäglichen Erwartungen herausreißen und im optimalen Falle inspirieren sollen, verlangen Know-how und Fingerspitzengefühl.

Stilbruch ist auch für die Einzelhändlerin Tabitha Gopp ihr tägliches Brot. Gopp verwandelt in ihrem Düsseldorfer Store Vintage Fabrik alte Industrie-Möblierung zu spannenden Wohnmöbeln. „Ein geschickt gesetzter Kontrapunkt ist immer ein Gewinn. Das Brave wird cooler, und das Provokante wirkt charmanter. Durch gezielte Stilbrüche kann man etwas spannendes Neues kreieren“, sagt sie. Und gibt zu bedenken: „Der Betrachter kann sehr gut unterscheiden, ob ein Stilbruch bewusst als ästhetisches Mittel eingesetzt wurde, oder ob einfach nur das Chaos herrscht.“

Fotos: Dover Street Market (1), Joanne Davidson (1), Scenario GmbH (1), Lupi Spuma (1), Vintage Fabrik (1)

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