: Herrenabteilung bei Breuninger in Stuttgart: Großzügiger Kassenbereich, separiert von der Verkaufsfläche, sodass Wartende nicht im Verkaufsraum herumstehen müssen

: Herrenabteilung bei Breuninger in Stuttgart: Großzügiger Kassenbereich, separiert von der Verkaufsfläche, sodass Wartende nicht im Verkaufsraum herumstehen müssen.
Foto: Dittel Architekten

Schnell reagieren, improvisieren, unkonventionelle Wege gehen – unmittelbar nach dem Lockdown konnte das Gros der Händler die geforderten Hygiene- und Sicherheitsstandards erfüllen. Hilfreich waren dabei auch die Angebote spezialisierter Dienstleister, die sehr schnell Hygienestationen oder Kundenstrom-Managementsysteme bereitstellen konnten.

Wie lange sie noch erforderlich sein werden, weiß zur Stunde niemand. Hatte man zu Beginn der Pandemie geglaubt, damit nur die Zeit überbrücken zu müssen, bis „der Spuk wieder vorbei ist“, ist mittlerweile klar, dass die Welt auf absehbare Zeit eine andere sein wird. „Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen und Informationen ist davon auszugehen, dass wir dauerhaft mit gewissen Einschränkungen im Alltag umgehen und auch künftig auf eventuelle Krisensituationen vorbereitet sein müssen“, sagt Jutta Blocher, Managing Director Interior Design bei Blocher Partners, Stuttgart. Die Organisation und Struktur der Verkaufsflächen, „die sich jetzt bereits verändert haben, müssen sich daher auch weiterhin an die Situation anpassen“.

In Zukunft wird es also darum gehen, die Flächengestaltung in einem ganzheitlichen Sinn an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen und auch das Storedesign entsprechend weiterzuentwickeln. Worauf kommt es dabei an? „Im weitestenSinne darauf, ein Gefühl der Sicherheit zu erzeugen“, sagt der Stuttgarter Architekt Jochen Messerschmid von MAI Messerschmid Architekten und Innenarchitekten, „und dafür braucht man in erster Linie mehr Platz.“

Mehr Raum

Parfümerie Mußler Beauty by Notino: Schön gestaltete Handwaschmöglichkeit im Store

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Foto: Dittel Architekten

Auch Holger Moths von Prof. Moths Architekten, Hamburg, ist davon überzeugt, dass man „mit Enge keine Chance hat.“ Auch wenn der Handel vor nicht allzu langer Zeit noch bestrebt war, „kleinere und komprimiertere Flächen zu schaffen, muss man heute mehr Raum zur Verfügung stellen und die Möglichkeit bieten, jederzeit einen Schritt zurücktreten zu können“, so Moths. Ging es früher darum, „möglichst cosy zu sein“, so Jutta Blocher, müsse das Verständnis von Wohlfühl-Atmosphäre in der Corona-Welt, in der „Nähe weder gewünscht noch möglich ist, neu interpretiert werden: durch eine neue Großzügigkeit, die jedem auf der Fläche genügend Luft lässt.“

Die Forderung nach „genügend Luft“ ist absolut wörtlich zu nehmen. Denn seit wir wissen, dass die Virusübertragung auch durch bis zu drei Stunden in der Luft stehende Aerosole erfolgt, liegt der Schlüssel zu dem gewünschten Gefühl von Sicherheit in frischer Luft und der Vermeidung von Nähe. Sollten demnach idealerweise nun größere Fenster eingebaut oder Ein- und Ausgänge separiert werden?

Für Jutta Blocher werden „lichtdurchflutete Räume und größere Fenster eine wichtige Rolle spielen“. Doch Bestandsimmobilien in diesem Sinne umzubauen, dürfte in den wenigsten Fällen möglich sein. Und auch wenn laut Jochen Messerschmid „Klimaanlagen mit hundert Prozent Frischluftzufuhr zur Vermeidung der Verteilung von Viren und Bakterien eine sehr sinnvolle Maßnahme wären“, so sei dies doch mit deutlich höheren Betriebskosten verbunden.

Realistischer ist, dass die Transformation „bei breiteren Kundenwegen und generell lockerer bestückten Flächen ansetzt, die jedem die Möglichkeit zu einer großzügigen Abstandhaltung geben“, so Messerschmid. Die Wegeführung selbst sollte ebenfalls optimiert werden.

Bereiche entzerren

Auch die Übersichtlichkeit der Flächen spielt eine große Rolle. „Auf Anhieb erfassen zu können, wo man selbst und die anderen Menschen sich im Raum befinden, ist entscheidend für das individuelle Wohlgefühl“, sagt der Architekt Frank Dittel von DIA Dittel Architekten, Stuttgart. Beratungssituationen könnten in separierte Räume verlegt werden. Statt Lounge-Bereichen kann Dittel sich Warte-Lounges vorstellen, „die wie ein Kokon konzipiert sind und von vorübergehenden Kunden nicht tangiert werden“.

In stärker frequentierten Bereichen, wie etwa „den Kassen, der Käsetheke oder dem Wühltisch“, müsse, so Holger Moths, Schlangenbildung vermieden werden, an den Lebensmitteltheken etwa „durch die Möglichkeit zur Vorauswahl, elektronischen Vorbestellung und Abholung auf Abruf.“

Sollte man Kassentresen, wie schon vor Corona diskutiert, zugunsten mobiler Bezahlsysteme am besten ganz abschaffen? „In einem Modehaus ist das vorstellbar“, sagt Frank Dittel. Im klassischen Discounter, im Bau- oder Supermarkt jedoch könne man auf fest installierte Kassen und Self-Checkout-Stationen kaum verzichten.

Frische Luft

Juwelier Bucherer in Hamburg: Viel Tageslicht und ein weiter Ausblick, kombiniert mit einer hellen, luftigen Innenraumgestaltung geben schon das Gefühl, frei atmen zu können

Juwelier Bucherer in Hamburg: Viel Tageslicht und ein weiter Ausblick, kombiniert mit einer hellen, luftigen Innenraumgestaltung geben schon das Gefühl, frei atmen zu können.
Foto: Patricia Parinejad für Blocher Partners

Mehr Raum sollten idealerweise auch Umkleidekabinen bieten, „statt 1 x 1 Meter künftig 1,50 x 1,50 Meter“, so Dittel. Zudem sollten sie „gepflegt und wohlriechend sein und erkennbar die Hygieneanforderungen erfüllen“, empfiehlt Jutta Blocher, „gleiches gilt für die Sanitäranlagen und Café-Bars.“

Auch klar erkennbare Handwasch-Gelegenheiten seien eine gute Idee, denn sie sind nicht nur sinnvoll, sondern signalisieren auch, dass Hygiene, Reinheit und Frische in dem Geschäft gelebt werden. Eine visuell wahrnehmbare Erneuerung der Raumluft, etwa durch große Ventilatoren und konsequentes Lüften durch offenstehende Türen oder Fenster kann zusätzlich zu diesem Eindruck beitragen. „Entscheidend ist, dass die Kunden das Gefühl haben: Hier ist immer frische Luft“, sagt Holger Moths.

Zweifellos wird man in Zukunft mehr noch als in der Vergangenheit auf leicht zu reinigende Oberflächen achten. „Doch die Kunden müssen auch miterleben, dass Kassentresen oder Türgriffe tatsächlich regelmäßig gereinigt werden“, so Moths. Gleiches gilt für digitale Touchpoints. Möglicherweise werden diese in Zukunft auch durch gestengesteuerte Tools ersetzt.

Ändert sich durch das gesteigerte Bedürfnis nach Reinheit und Frische auch unser ästhetisches Empfinden? Jutta Blocher jedenfalls ist davon überzeugt: „Mehr helle Farben, geschlossene Decken, Natürlichkeit, Tageslicht, nachhaltige Materialien sowie Ordnung und Pureness – das alles prägt das Design der Zukunft.“ 

Bleibende Veränderungen

Christoph Stelzer, Managing Director von DFrost Retail Identity, über die durch Corona veränderte Customer Journey.

Aktuell ist die Customer Journey im Store stark durch Hygiene-Maßnahmen geprägt. Wie kann ein Händler damit umgehen?

Diese Maßnahmen werden auf absehbare Zeit zu unserem Alltag gehören. Daher sollten Brands und Retailer sie fest einbinden. Auf der Fläche sollten sie Teil des gestalterischen Gesamtkonzepts sein. Mit Spuckschutz und Desinfektionsspendern ist es hier jedoch nicht getan. Sehr wichtig ist beispielsweise auch die Guidance. Denn da sich viele Kunden seit Corona nur noch kurz im Laden aufhalten möchten, brauchen sie eine bessere Orientierung als in der Vergangenheit.

Kann der stationäre Handel unter den neuen Rahmenbedingungen seine Stärken gegenüber dem Online-Handel noch hinreichend ausspielen?

Natürlich hat der Online-Handel sehr von der Situation profitiert. Stationäre Händler müssen mehr denn je ihre Relevanz beweisen und den Kunden einen Grund geben, persönlich bei ihnen einzukaufen. In den letzten Monaten ist aus meiner Sicht jedoch auch klar geworden, wie wichtig den Konsumenten die physische Begegnung mit der Marke und das damit verbundene sinnliche Erlebnis ist.