In der Ferne rauscht das Meer, und Heiligenstatuen schmücken die Fachwerkfassade im typisch normannischen Stil: Man muss genau hinschauen, um zu erkennen, dass es sich bei dem pittoresken Gebäude mit seinen Giebeln und Gauben in der Rue Eugène Collas von Deauville, einen Katzensprung von der weltberühmten Strandpromenade Les Planches entfernt, um ein Modehaus handelt. Seit 1912 unterhält hier das Pariser Kaufhaus Le Printemps eine Filiale.

Beim Neubau 1912 sicherte sich das Pariser Kaufhaus in der neu entstandenen Shopping-Straße in Deauville die Fläche von neun aneinandergereihten Boutiquen

Beim Neubau 1912 sicherte sich das Pariser Kaufhaus in der neu entstandenen Shopping-Straße in Deauville die Fläche von neun aneinandergereihten Boutiquen
Foto: Romain Ricard

Die Geschäftsidee dieser historisch allerersten Dependance in der Provinz war, der betuchten Kundschaft in die Sommerfrische zu folgen. Mit Erfolg: Bis heute gehört der durchschnittliche Warenkorb der zweigeschossigen Filiale im Nobel-Urlaubsort Deauville zu den höchsten der Gruppe: 250 Euro im Vergleich zu 150 Euro bei den anderen Zweigstellen in mittelgroßen Städten wie Brest, Lille, Le Havre oder Rouen. Nun wählte die Kaufhausgruppe diesen Standort, um dort ihr neues Konzept zu testen.

Premium und exklusiv

Rund sechs Monate dauerte der Umbau. Seit der Wiedereröffnung Ende Mai ist auf den 1.200 qm Verkaufsfläche über zwei Etagen kaum noch etwas wie vorher. Das Erdgeschoss besteht aus elf ineinander übergehenden Verkaufsräumen, die in den dreieckigen Grundriss des Gebäudes so integriert wurden, dass viele Durch- und Einblicke möglich sind.

Im Zentrum jedes Raums befindet sich ein großer Tisch, auf dem Accessoires und Dekoartikel das Angebot an Kleidung ergänzen. Sophie Bocquet, Generaldirektorin der Filialen, umschreibt dies als „Cross Merchandising“-Prinzip, das zum Ziel hat, den Kunden immer neue Überraschungen zu liefern. Das Sortiment ist klar auf Premium ausgerichtet: 85Prozent der Waren sind nach eigenen Angaben exklusiv, also in Deauville nur bei Le Printemps erhältlich, was angesichts des starken lokalen Wettbewerbs im Modehandel bemerkenswert ist.

Dieses Kaufhaus soll die lokalen und internationalen Kunden immer aufs Neue verzaubern und eine Shopping-Adresse werden, die man nicht vergisst.

Jean-Marc Bellaiche

Präsident, Le Printemps

Damen- und Herrenmode bestimmen das Sortiment im Erdgeschoss. Dazu kommen eine Sonderfläche für Saisonartikel, wie z. B. im Sommer Badeanzüge, Strandtaschen, Sonnenhüte, und eine Abteilung für hochwertige Secondhand-Mode. In der ersten Etage befinden sich das Uhren- und Schmuck-Angebot sowie die Abteilungen Beauty, Interior-Deko und Schuhe. Letztere sind um einen spektakulären Lichtdom gruppiert, der sich über die zwei Verkaufsetagen erstreckt und mit einer zehn Meter langen Blumenskulptur aus Stahl, Metall und Keramik geschmückt ist, die zwischen den Etagen schwebt.

Im Gegensatz zum Flagship am Boulevard Haussmann und anderen Zweigstellen setzt Le Printemps in Deauville zu 100 Prozent auf eigenes Personal. Shop-in-Shops mit Fremdmitarbeiter:innen fehlen vollkommen.

Diese Entscheidung hat historische Wurzeln: Bei der Eröffnung im Jahr1912 wurden nur die allerbesten Pariser Verkäuferinnen über Sommer an die Küste abkommandiert. Im September zu Ferienende schloss das Haus damals noch seine Pforten, die Belegschaft kehrte zurück nach Paris. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg, als mehr und mehr Pariser vor der Besatzung in die Normandie flohen und sich langsam eine Kultur von Zweitwohnsitzen entwickelte, ist das Haus ganzjährig geöffnet.

Das bei einem Umbau in den 1960er-Jahren in kleine, abgeschlossene Räume strukturierte Interieur des Kaufhauses wurde aufgebrochen

Das bei einem Umbau in den 1960er-Jahren in kleine, abgeschlossene Räume strukturierte Interieur des Kaufhauses wurde aufgebrochen
Foto: Romain Ricard

Die Wall Street ruft

Heute arbeiten dort 55 Angestellte und sichern neben dem Verkauf auch zahlreiche zusätzliche Dienstleistungen: Sechsdavon kümmern sich um „Personal Shopping“, das man jeden Tag, also auch am geöffneten Sonntag, kostenlosbuchen kann. Ein Concierge-Serviceerfüllt Kundenwünsche wie Restaurantbuchungen, Reservierung von Theater- und Kinokarten, Blumensendungen oder die Lieferung der Einkäufe nach Hause.

Ein fünfköpfiges Teambietet Services an wie Leihfahrräder, Schuster- und Näharbeiten und einfache Uhrenreparaturen. Für Onlineshoppersteht ein Click & Collect-Service zur Verfügung.

Die Kundenstruktur besteht derzeit zu 43 Prozent aus Tourist:innen und zu 22 Prozent aus Eigentümer:innen von Zweitwohnsitzen, an die sich auch das neu aufgenommene Sortiment an Dekoartikeln fürs Haus richtet. Die lokale Bevölkerung, die die Neueröffnung sehr positiv aufgenommen hat, macht das letzte Drittel aus.

Mit der neuen Conceptstore-Ausrichtung will das Unternehmen eine Umsatzsteigerung um 25 Prozent erreichen. Le Printemps sieht das neue Konzept aber auch als Test für die Neueröffnung in New York im kommenden Jahr. Im Finanzviertel der Wall Street hat sich die Pariser Handelsgruppe ein historisches Gebäude aus den 1930er-Jahren gesichert, in dem im Frühjahr 2024 auf über 3.500 qm, ebenfalls über zwei Etagen, ein ähnliches Mini-Kaufhaus entstehen soll. Auch hier will man keine Ansammlung von Shop-in-Shops, sondern auf begrenzter Fläche ein kuratiertes Sortiment anbieten.