„Orte müssen das Sprechen lernen“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Sie müssen mit allen Sinnen erfahrbar werden, so dass sie in Erinnerung bleiben und zu Lieblings- oder gar Sehnsuchtsorten werden. Wie gelingt dies Handelsgeschäften? Welche Sprache sprechen sie?

Viele Händler kommunizieren leider immer noch in erster Linie über den Preis. Das trifft insbesondere auf den Modehandel zu. Während der Lockdowns, als viele Händler von jetzt auf gleich weggeschlossen wurden, haben diese Unternehmen dann in der Kommunikation zu ihren Kunden praktisch nicht mehr stattgefunden, weil sie nicht so richtig sagen konnten, für was sie stehen und warum sie die Produkte, die sie verkaufen, so zusammengestellt haben. Gerade die größeren Handelsunternehmen verpassten damit eine Chance, mit ihren Kunden zu sprechen.

Dagegen haben viele kleine Händler Geschichten um ihre Produkte und Services entwickelt, über die sie auch über den Lockdown hinaus mit ihren Kunden in Kontakt bleiben. Dabei geht es nicht ausschließlich um den Verkauf, sondern um Mehrwerte, Loyalität und Gemeinschaft. Flexibilität, Kundennähe und die Persönlichkeit sind dafür wichtige Erfolgsfaktoren, auch zur Differenzierung gegenüber dem reinen Online-Handel.

Manufactum

Manufactum
Foto: Schwitzke

Welche Beispiele können Sie hier nennen?

Die „Bierlese“ ist eine kleine Fachhandlung für besondere Biere in Potsdam, die in Pandemie-Zeiten ihr Geschäft mit erfolgreichen Online-Tastings und Video-Chats für Produktinformationen und Beratung erweitert hat. Dennoch kommt auch künftig eine reine Internet-Vermarktung für den Betreiber nicht in Frage, da diese die Grundbedürfnisse der Kunden wie Nähe und sinnliches Einkaufserlebnis nicht ersetzen kann.

Manufactum gelingt es trotz seiner Größe weiterhin, schlüssig zu erläutern, warum bestimmte Produkte mit besonderen Geschichten im Sortiment vertreten sind und andere nicht reinkommen. Dabei findet der Preis nicht auf der ersten Kommunikationsebene statt, im Vordergrund stehen Qualität und Herkunft.

In vielen Städten sind in den letzten Jahren Szeneviertel entstanden, die sich mit ihren Angeboten an bestimmte Zielgruppen richten, vergleichbar mit Concept Stores, deren kuratierte Sortimente auch nicht mehr alles für alle bieten. Denken Sie, dass Städte künftig mehr in unterschiedliche Standorte für einzelne Zielgruppen zersplittern, mithin auch die Innenstadt nicht mehr alles für alle bieten kann und weiter an Bedeutung verliert?

Trotz neu entstehender Szeneviertel haben Innenstädte noch großes Potenzial als demokratisches Angebot für alle. Sie müssen aber wieder eine attraktivere Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Gewerbe, Handel und Gastronomie bieten, also weg von der bisherigen Funktionsteilung in den Städten zu mehr Diversität. Städte brauchen hier neue Konzepte, dies gilt auch für die Entwicklung von Immobilien. Es kann nicht erst überlegt werden, wer einzieht, wenn die Immobilie schon fertig ist. So können bspw. mehr Flächen für Einzelhandel-Start-ups und lokale Konzepte geschaffen werden.

Ohnehin muss unterschieden werden zwischen Shopping und Bedarfsdeckung. Letzteres kann der Online-Handel viel bequemer und schneller erledigen und schenkt den Kunden Zeit zum Flanieren und Erlebnis, z. B. auf dem Wochenmarkt oder bei jenen Händlern, die sich mit ihren Angeboten klar positionieren, mithin Sortimentskompetenz demonstrieren und dabei zugleich in ihrem ganzen Verständnis mehr Gastgeber als Händler sind, ohne dazu im Übrigen unbedingt noch ein weiteres Café zu eröffnen.

Empfehlungen, die Sie so auch in Ihrem Buch Speaking Spaces formulieren?

Es ist ein gebundener Denkanstoß und Ermunterung, Veränderung als Chance zu begreifen, in dem wir Marken- und Handelsorte aus unterschiedlichen Blickwinkeln und aus Sicht der Kommunikation und nicht der Architektur betrachten. Statt finale Konzepte oder Empfehlungen zu formulieren, geht es mehr darum, durch Interviews und Beiträgen von Innovatoren Bisheriges in Frage zu stellen und Impulse für ein neues Denken zu setzen, damit Kunden und Besucher mit Begeisterung von einem Ort sprechen. Warum also künftig nicht mehr Sinn- statt Gewinnmaximierung in die Konzeptentwicklung von Orten legen?

Das Interview führte Claudia Horbert.