Herr Tkotz, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Konsumgüterbranche?
Nach zwei außergewöhnlichen Jahren treten nun große Probleme auf. Der Krieg und die damit verbundenen Erhöhungen der Energiekosten drücken auf die Konsumausgaben. Während stationäre Formate im LEH in den letzten zwei Jahren deutliche Marktanteile gewonnen haben, müssen sie diese nun teilweise wieder an die Discounter abgeben. Die Verbraucher:innen sind gezwungen, auf preiswerte Alternativen auszuweichen. Die Handelsmarken können davon profitieren. Im hochpreisigen Bereich herrscht eine Konsumzurückhaltung. Besonders deutlich ist dies im Bereich des Bio-Fachhandels.
Hier sind die Umsatzrückgänge innerhalb des gesamten Lebensmitteleinzelhandels am höchsten. Wenn dann noch eine Verdoppelung der Energiekosten, und geringere Mage dazukommen, weil erhöhte Lieferantenpreise nicht an die Kundschaft weitergegeben werden können, dann wird es eng. Wir sehen bereits, dass einige Unternehmen in Schieflage geraten sind. Im Bio-Handel sind tatsächlich noch viele Unternehmen nur wenig übergreifend organisiert. Viele sind von ihrem Großhandel abhängig. Hier wird es zukünftig andere Formen der Zusammenarbeit geben müssen. Unternehmensübergreifende Kooperationen können hier eine Lösung/Option sein. Aber auch die durch die Pandemie gestärkten Lieferdienste erfahren zurzeit rückläufige Entwicklungen.
Ist der Fachkräftemangel auch bei Ihnen angekommen?
Der Personalmangel ist bei uns im Unternehmen wie auch in der gesamten Konsumgüterbranche und in der gesamten Wirtschaft dramatisch. Das betrifft eigentlich alle Bereiche, besonders spüren wir das aber im Bereich der IT und im Prozessmanagement. Hier ziehen wir alle Register bei der Gewinnung von Mitarbeitenden. Employer Branding, Active Sourcing, Prämien, Kampagnen auf allen medialen Kanälen, nie waren wir so aktiv bei der Suche nach neuen Kolleginnen und Kollegen. Dennoch fällt es uns schwer, die Lücken, die auch durch Fluktuation entstehen, zu schließen.
Bei den Einzelhandelsunternehmen können wir beobachten, dass hier teilweise Öffnungszeiten reduziert werden, weil einfach nicht genug Kapazitäten von Mitarbeitenden zur Verfügung stehen. In der Gastronomie wird schon seit längerer Zeit an manchen Tagen gar nicht mehr geöffnet, bei den Supermärkten gibt es jetzt auch erste Beispiele von Unternehmen, die Märkte teilweise ab mittags schließen. Bei den Start-ups können wir beobachten, dass die Wachstumskurven durch die Verfügbarkeit von Mitarbeitenden begrenzt werden und daher auch die Finanzierungsrunden gefährdet sind. Es wird höchste Zeit, dass wir einen geeigneten gesetzlichen Rahmen bekommen, um auch durch qualifizierte Zuwanderung dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Ein anderes dringendes Problem sind die Lieferketten, die aus dem Tritt geraten sind.
Da gibt es natürlich weiterhin Probleme. Ich denke aber, dass die Unternehmen hier in der Coronazeit gelernt haben und heute durch vorausschauende Planung viele Engpässe vermieden werden können. Die Branche hat sich auf andere Vorlaufzeiten eingestellt und auch die Bevorratung hat zugenommen. Aber auch in der Logistik fehlen natürlich Fachkräfte. Der Fahrermangel hat sich durch den Krieg in der Ukraine weiter verschärft, und Mitarbeitende für die Logistik zu finden, ist weiterhin eine echte Herausforderung. Wir werden hier weiter in Technik und Digitalisierung investieren müssen. Autonomes Fahren wird in der Logistik Realität werden müssen. Natürlich gibt es viele rechtliche Fragen bei diesem Thema, aber wir dürfen auch nicht aus den Augen verlieren, dass Versorgungssicherheit ein sehr hohes Gut ist.
Gleichzeitig müssen wir uns nach Alternativen umschauen. Leider konnte die Bahn bisher noch keinen geeigneten Beitrag zur Lösung unsere logistischen Probleme leisten. Und wie wir gerade wieder erleben, ist die Schifffahrt auch kein zuverlässiger Partner. Wir beobachten zurzeit, dass Unternehmen auch in eigene Kapazitäten für den Transport aufbauen oder sich zumindest feste Transportkapazitäten langfristig sichern. Zusammen mit ausgewählten Partner-Unternehmen arbeiten auch wir an der Bündelung von Warenströmen. Auch die Reduzierung von Wartezeiten an der Rampe kann ein Beitrag zur Reduzierung von logistischen Engpässen sein. Wir haben hier mit der digitalen Vorgangsakte ein erfolgreiches Projekt initiiert.
Erst Corona, dann der Krieg, wenn erfolgreiche Cyberattacken die nächste ganz große Krise auslösen?
Cybersicherheit steht bei allen Unternehmen ganz oben auf der Agenda. Da hat sich in den letzten zehn Jahren enorm viel verändert. Bei der Markant hat dieses Thema höchste Priorität und wir arbeiten hier sehr eng mit Handel und Industrie zusammen. Die Markant selbst hat hier bereits die notwendigen Zertifizierungsprozesse durchlaufen, und wir stellen fest, dass auch Partnerunternehmen von uns Nachweise über die Sorgfalt im Hinblick auf Cyberrisiken erwarten. Unter dem Dach des EHI arbeitet die Markant eng mit dem Arbeitskreis Cybersicherheit zusammen. In dieser Gruppe sind alle großen Handelsunternehmen der Lebensmittelbranche vertreten und wir haben hier gemeinsam sogar einen eigenen Cyber-Sicherheitsstandard entwickelt, der in diesem Jahr zum zweiten Mal vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als offizieller Branchen Standard zugelassen wurde.
Sind Sie auf die Anforderungen des Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetzes bereits gut vorbereitet?
Leider ist bis heute in vielen Bereichen immer noch unklar, was die genauen Anforderungen des Gesetzes sein werden. Die Wirtschaft wartet auf Präzisierungen der zuständigen Behörde. Wir wissen allerdings schon, dass am Anfang immer eine Prüfung der Lieferanten und eine Risikobewertung derselben steht. Und dort, wo sich Hinweise auf mögliche Verletzungen von Menschenrechten, Umwelt – und Sozialstandards ergeben, sind Unternehmen verpflichtet, Maßnahmen gegenüber ihren direkten Lieferanten zur Abstellung der Missstände zu ergreifen und dies zu dokumentieren. Um das technisch und organisatorisch zu lösen, entwickeln sich verschiedene Lösungen am Markt. Möglicherweise werden durch Initiativen der EU noch viel strengere Anforderungen an die Unternehmen gestellt werden. In Brüssel werden zusätzlich u.a. Erklärungen über den Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und auch die Kopplung von variablen Geschäftsführungsbezügen an die Erreichung dieser Ziele diskutiert.
Was sind Ihre größten unternehmerischen Herausforderungen in der nahen Zukunft?
Die Personalthemen stehen sicherlich ganz oben auf der Liste. Aber es geht auch darum, die Organisation so aufzustellen, dass wir mit den Innovationen Schritt halten können. Ebenso müssen wir große operative Projekte stemmen. Die Ablösung verschiedener Legacysysteme ist eines unserer Aufgaben in diesem Jahr. Warum haben Sie sich entschieden, beim Handelskongress Deutschland am 16. und 17. November einen aktiven Beitrag zu halten? Der Handelskongress Deutschland ist für den Einzelhandel sicherlich die wichtigste Veranstaltung in diesem Jahr. Hier trifft sich die Branche. Eine gute Gelegenheit, um sich auszutauschen und eine sehr gute Gelegenheit, um auch mit der Politik in den notwendigen Dialog zu gehen.
Ich würde mir wünschen, dass in der Politik die inflationshemmende Wirkung des Handels stärker wahrgenommen wird. Der Handel leistet hier einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, der noch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Die politischen Netzwerke des Handelsverband Deutschland und das Branchennetzwerk des EHI sind eine optimale Ergänzung, um diese Veranstaltung so wertvoll zu machen. Ich freue mich, dabei sein zu können.
Das Interview führte Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute.