Anhand einer realen Supply Chain und mit echter, für den Verkauf vorgesehener Ware sollten die Potenziale von RFID-Technologie auf der Ebene einzelner verkaufsfähiger Verpackungen, dem so genannten „Case Level-Tagging“, aufgezeigt werden. Die „Smart.NRW“-Supply-Chain beginnt mit der Herstellung der Verpackungen und endet mit dem Verkauf des Produkts im Großhandel an Wiederverkäufer. Bereits beim Verpackungshersteller werden RFID-Tags mit eindeutiger Seriennummer angebracht, der „Serialized Global Trade Item Number“ (SGTIN). Diese Tags können an mehr als einem Dutzend Punkten in der Lieferkette mittels RFID-Lesegeräten ausgelesen werden. So befinden sich allein beim Großhändler drei RFID-Lesepunkte: Wareneingang, Teile der Lagerfläche und Warenausgang sind mit entsprechender Technik ausgestattet.

Die durch den Einsatz von RFID gesammelten Daten werden in mehreren „Electronic Product Code Information Services“-(EPCIS)-Instanzen gespeichert und mit Daten aus den Enterprise Resource Planning (ERP)-Systemen der Unternehmen ergänzt. Die so neu entstehenden Informationen werden über eine Plattform aufbereitet und den Unternehmen zur Verfügung gestellt. Jedes Unternehmen hat dabei eine individuell konfigurierte Sicht und kann nur Informationen einsehen, die entweder im eigenen Unternehmen entstanden oder von anderen Unternehmen freigegeben sind. Zudem werden die Daten in einer eigenen EPCIS-Instanz je Unternehmen gespeichert. So ist sichergestellt, dass die Datenhoheit in den Unternehmen verbleibt.

Suchzeiten verkürzen

Im Handel lassen sich viele Prozesse vereinfachen oder automatisieren, um die Bestände über die gesamte Supply Chain zu senken sowie die Warenverfügbarkeit im Regal für den Endkunden zu erhöhen. So speichert schon der Hersteller der Produkte zu jeder SGTIN ab, welches Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) die entsprechende Einheit hat. Ein Händler kann so durch RFID am Wareneingang berührungslos und automatisch prüfen, ob die Ware über das vereinbarte MHD verfügt. Ist die Ware bereits im Markt, kann er auf Basis des MHD steuern, welche Ware wohin verräumt wird und Ware mit zu kurzer Rest-Haltbarkeit aus dem Regal entfernen. Am Warenausgang kann verhindert werden, dass Kunden trotz aller vorherigen Maßnahmen mit abgelaufener oder vom Ablauf bedrohter Ware den Markt verlassen.

Auch im Bereich der Produktsicherheit kann RFID-Case-Level-Tagging sinnvoll eingesetzt werden. Zwar sind Rückrufe im Lebensmittelbereich eher selten. Wenn sie vorkommen, ist der Aufwand für das Suchen und Entfernen der Ware aber groß. Da außerdem äußerlich nur schwer oder auch gar nicht erkennbar ist, welche Einheiten betroffen sind, muss oft unnötig eigentlich einwandfreie Ware abgeschrieben werden. Mit RFID kann der Hersteller einen Rückruf enger eingrenzen und nur Einheiten, die über ein bestimmtes Band gelaufen sind, zurückrufen. Da zudem zu jeder SGTIN jederzeit bekannt ist, wo in der Supply Chain sie sich befindet, verkürzen sich die Suchzeiten. Zudem kann der Abverkauf der Ware an den Endkunden am Wareneingang verhindert werden. Schließlich kann über RFID-Case-Level-Tagging auch mit Sicherheit gesagt werden, wann alle Einheiten eines Rückrufes sicher aus der Lieferkette entfernt wurden.

Vorteile im Handel

RFID-Case-Level-Tagging trägt außerdem zu einer höheren Warenverfügbarkeit bei. Die genaueren Informationen über den Warenfluss können auf den vorgelagerten Stufen der Lieferkette genutzt werden, um Out-of-Stock-Situationen beim Händler gar nicht erst entstehen zu lassen. Die höhere Transparenz über die Warenbewegungen und Lagerorte im Markt kann aber auch dem Händler selbst helfen, die Warenverfügbarkeit für den Kunden hoch zu halten. Eingelagerte Ware kann schneller gefunden werden. Situationen, in denen zwar Ware im Markt ist, aber etwa durch falsche Einlagerung oder Fehlbuchungen nicht gefunden wird, lassen sich so vermeiden. RFID-Case-Level-Tagging kann auch genutzt werden, um den Füllzustand der Griffzone selbst zu kontrollieren: Wird die Griffzone mit einer RFID-Antenne ausgestattet, kann bei leerer oder fast leerer Griffzone automatisch ein Auftrag zur Nachverräumung erzeugt werden.

Foto: FIR

Autor Christian Hocken hat diesen Beitrag zusammen mit Jacob Andreae, Theo Lutz und Kerem Oflazgil alle Mitarbeiter des FIR e.V. an der RWTH Aachenerstellt.

Weitere Informationen: www.fir.rwth-aachen.de

Das „Smart.NRW“-Projekt

Das Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) ist eine gemeinnützige, branchenübergreifende Einrichtung an der RWTH Aachen auf dem Gebiet der Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung. Das „Smart.NRW“-Projekt wird im Rahmen des Programms „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung 2007 – 2013“ für Nordrhein-Westfalen gefördert und vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklungen (EFRE) „Investition in unsere Zukunft“ ko-finanziert. Das Konsortium besteht aus den Unternehmen ESM GmbH & Co.KG; European EPC Competence Center GmbH; Mars GmbH; Metro Systems GmbH; Metro Cash & Carry Deutschland GmbH; Mondi Bad Rappenau GmbH sowie dem FIR e.V. an der RWTH Aachen.