Kaufe ich ausreichend Obst und Gemüse? Welchen Betrag gebe ich pro Monat für Süßwaren aus? Wie hoch ist der Anteil regionaler Produkte an meinem jährlichen Lebensmittelkonsum? Und was bedeutet das für meinen CO2-Fußabdruck? Fragen wie diese interessieren zwar viele Verbraucher:innen, doch präzise Antworten sind mit erheblichem Aufwand verbunden.

Beispiel Finnland

Anders in Finnland: Als eines der ersten Unternehmen weltweit hat die S-Gruppe (finnisch: S-Ryhmä) Daten als innovatives Instrument zur Kundenbindung entdeckt. Mit einem Umsatz von 12,3 Mrd. Euro gehört die finnische Konsumgenossenschaft zu den größten Einzelhändlern des Landes und betreibt neben Finnlands führender Supermarktkette auch Warenhäuser, Tankstellen, Baumärkte, Parfümerien, Hotels, Restaurants und eine Bank.

Kunden der finnischen S-Gruppe können ihre persönlichen Shopping-Daten per App auswerten.

Kunden der finnischen S-Gruppe können ihre persönlichen Shopping-Daten per App auswerten.
Foto: Lari Lappalainen

Beim Einkaufen mit der Kundenkarte erhalten die 2,5 Mio. Mitglieder nicht nur finanzielle Vorteile, sondern auch interessante Einblicke in die persönliche Einkaufshistorie. Über die Funktion „Meine Einkäufe“ erhalten Nutzende der Kunden- App „S-Mobiili“ übersichtlich aufbereitete Auswertungen ihrer in den letzten 12 Monaten getätigten Einkäufe, angereichert mit Informationen, die so bisher nicht verfügbar waren.

Anhand zentral hinterlegter Produktinformationen wie Herkunftsangaben oder Inhaltsstoffen und weiterer externer Datenquellen können die Kund:innen sich beispielsweise jederzeit über ihren Fleisch-, Fett- und Zuckerkonsum oder die CO2-Bilanz ihrer Supermarkteinkäufe informieren. Die Ergebnisse werden als leicht verständliche Grafik auf dem Smartphone angezeigt. Mit dem digitalen Datenservice bedient die finnische Supermarktkette das Bedürfnis vieler Kund:innen, ihr Einkaufsverhalten in puncto Gesundheit oder Nachhaltigkeit zu verbessern. Die Option, die eigenen Einkaufsdaten zentral zu erfassen und auszuwerten, motiviere viele zum regelmäßigen Einsatz der Kundenkarte, heißt es aus dem Unternehmen – für einige sei das sogar ein stärkerer Anreiz als ein finanzieller Bonus.

Die Funktion „Meine Einkäufe“ ermöglicht zum Beispiel, Obst- oder Fleischkonsum, den Anteil von Waren regionaler Herkunft oder den CO2- Fußabdruck im Blick zu behalten.

Die Funktion „Meine Einkäufe“ ermöglicht zum Beispiel, Obst- oder Fleischkonsum, den Anteil von Waren regionaler Herkunft oder den CO2- Fußabdruck im Blick zu behalten.
Foto: Nina Kaverinen

„Wir bemühen uns, digitale Services so zu personalisieren, dass die Kunden sie kontinuierlich nutzen möchten“, sagt Marketingleiter Lauri Toivonen. Ein sinkender CO2-Fußabdruck beim Einkaufen könne beispielsweise sehr motivierend sein, wenn die Veränderung messbar sei und in Echtzeit aktualisiert werde – ähnlich wie eine Fitnessuhr bei täglichem Gebrauch zu mehr Bewegung anspornen könne. Die Kund:innen frühzeitig in die Entwicklung einzubinden, sei für die Akzeptanz digitaler Services maßgeblich, so ein wichtiges Fazit aus dem Projekt.

Wettbewerbsfaktor App

Das scheint den Finnen zu gelingen. Mit mehr als 1,8 Mio. Nutzenden und über einer Mio. Einsätze pro Woche gehört S-Mobiili mittlerweile zu den populärsten Apps des Landes – für den finnischen Filialisten angesichts der fortschreitenden Digitalisierung ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. „Apps sind zukünftig eines der wichtigsten Marketing-Instrumente im Handel, weil sie den Händlern einen direkten Kundenzugang und der Kundschaft ein persönliches Nutzungserlebnis bieten“, bestätigt Marlene Lohmann, Marketingexpertin und Co-Autorin der EHI-Studie „Data-driven Marketing im Handel 2021.“

Fact

Rd. 4.200 Apps luden sich die Deutschen 2021 laut Data.ai auf ihre Smartphones – pro Minute!

Der Haken an der Sache: Der Platz auf dem Smartphone-Display ist begrenzt – die Konkurrenz um die digitalen Bestlagen dagegen grenzenlos. Rund 4.200 Apps luden sich die Deutschen 2021 laut den Marktforschern von Data.ai auf ihre Smartphones – pro Minute! Zusammen bieten Google und Apple in ihren Stores mittlerweile mehr als 21 Mio. Apps zum Download an. Zwar brachten deutsche Kund:innen 2021 insgesamt rd. 20 Prozent mehr Zeit mit Shopping-Apps zu als im Vorjahr. Doch dauerhaftes Interesse zu wecken, ist vor allem für kleinere Unternehmen schwer. Auswertungen der Digitalberatung Adjust zeigen, dass weniger als 10 Prozent aller E-Commerce- Apps 30 Tage nach der Installation noch genutzt werden. Internationale Marktplätze wie Amazon, Ebay, Klarna, Otto, Shein oder Zalando dominieren mit ihrer großen Auswahl und hohen Marketingbudgets die Top Ten des Mobile Shopping in Deutschland.

Laut dem Marktforschungsunternehmen Data.ai war die Lidl Plus-App 2021 gemessen an den monatlichen Nutzerzahlen die Nummer 1 unter Deutschlands mobilen Shopping-Apps. Auch bei der Anzahl der Downloads kam sie unter die Top Ten.

Laut dem Marktforschungsunternehmen Data.ai war die Lidl Plus-App 2021 gemessen an den monatlichen Nutzerzahlen die Nummer 1 unter Deutschlands mobilen Shopping-Apps. Auch bei der Anzahl der Downloads kam sie unter die Top Ten.
Foto: Lidl

Überwiegend monetäre Vorteile

Um die eigene App für die Kunden attraktiv zu gestalten, setzen Handelsunternehmen laut EHI-Studie bislang überwiegend auf monetäre Vorteile. Insbesondere in Kombination mit weiteren Services, die das Einkaufen bequemer machen, durchaus eine erfolgversprechende Strategie: So schaffte beispielsweise laut Data.ai die 2020 gestartete Lidl Plus-App 2021 den Sprung an die Tabellenspitze der meistgenutzten Shopping-Apps. Neben Coupons und Rabatten bietet die App mobiles Bezahlen und digitale Kassenbons. Der Lebensmitteldiscounter sieht in dem digitalen Kundenbindungstool einen wichtigen Baustein, um das stationäre Geschäft stärker mit der digitalen Welt zu verknüpfen.

Einen Weg, den beispielsweise auch Rewe oder die Drogeriemarktkette dm erfolgreich beschreiten. Beide haben ihre Apps mit dem Bonusprogramm Payback verknüpft und ermöglichen ihrer Kundschaft das mobile Bezahlen mit Payback Pay. Gesammelte Punkte können direkt an der Kasse in Shopping-Guthaben umgewandelt werden, zudem ist das QR-Code-basierte Verfahren besonders komfortabel.

„Über 10 Millionen Payback-Kundinnen und -Kunden nutzen unser Programm bereits mobil, und immer mehr bezahlen da bei mit Payback Pay, weil es praktisch, schnell und sicher ist“, sagt Carolin Thomass, Director Mobile Check-out bei Payback. Rd. ein Drittel aller Handelsunternehmen mit eigener App bietet seiner Kundschaft darüber hinaus laut EHI-Studie bereits einen digitalen Kassenbon an, darunter auch Rewe und dm. An persönliche Datenauswertungen wie sie die S-Gruppe offeriert, wagen sich deutsche Unternehmen allerdings nicht heran. Bei der Entwicklung personalisierter Beratungsfunktionen könnten datengetriebene Ansätze, KI und Augmented Reality allerdings künftig eine wichtige Rolle spielen.

Digitale Kundenberatung mittels App – bei Douglas können Kundinnen ihren Hauttyp auf dem Smartphone analysieren lassen.

Digitale Kundenberatung mittels App – bei Douglas können Kundinnen ihren Hauttyp auf dem Smartphone analysieren lassen.
Foto: Douglas

On- Offline-Verknüpfung

Ein aktuelles Beispiel liefert die App der Parfümeriekette Douglas. Seit Ende letzten Jahres schlägt dort bereits ein virtueller Duftberater beim mobilen Shopping anhand von Suchkriterien und Lieblingsdüften auf Basis von Inhaltsstoffen passende Düfte vor. Seit wenigen Wochen bietet der Beauty-Konzern zudem ein digitales Tool zur Analyse von Hauttypen an. Die Kundinnen können ihr Gesicht mit der Smartphone-Kamera scannen und über die App ihren Hauttyp und zusätzliche Hauteigenschaften bestimmen lassen.

So können sie also schon vor dem Gang ins Geschäft nach Inspirationen und passenden Produkten schauen und diese dann live erleben oder ausprobieren. „Eine gute Retail- App sollte die Vorteile von Online und Offline verbinden“, heißt es dazu von Douglas. Die App habe schon heute einen hohen Stellenwert. Als Brücke zwischen Onlineshopping und dem stationären Geschäft werde sie künftig mit Sicherheit weiter an Bedeutung gewinnen.