Die Senkung von Inventurdifferenzen muss nicht immer mit Investitionen in Technologie rund um Kontrolle, Überwachung und Sicherheit verbunden sein. Sie ist oft auch Ausdruck guter Mitarbeiterführung und des Bewusstseins für die Bedeutung dieser Thematik. Das ist das Credo von Uwe Müller, Leiter Filialaudit der Popken Fashion Services, Rastede, eine Tochterfirma der auf Mode in großen Größen spezialisierten Popken Fashion Group.

Reduzierung der Inventurdifferenzen um gut 70 Prozent

Aufgrund seiner 30-jährigen Handelserfahrung mit Fokus auf Inventuren kann Müller von strategischen Schwachstellen berichten, die im Handel häufig einer Senkung der Inventurdifferenzen entgegenstehen: „Auch dort, wo das Management das Thema ernst nimmt und Druck auf die Verantwortlichen ausübt, bleiben die Ergebnisse oft hinter den Erwartungen zurück, wenn niemand den Betroffenen sagt, wie man eine Bestandsaufnahme richtig macht und was es braucht, die Inventurdifferenzen zu reduzieren.“ Davon ausgehend startete Müller im Jahr 2003 bei der Popken Fashion Group.

Die Herausforderung, die er vorfand, war durchaus „anspruchsvoll“: Die Inventurdifferenzen lagen damals bei dem hohen Wert von 3,0 Prozent (VK/Brutto-Umsatz), und während der Durchführung der Inventur in den damals rund 300 Filialen kam der komplette Logistik-Apparat zum Stillstand.

Mitarbeiter sensibilisieren

Zwar waren die Filialmitarbeiterinnen engagiert, kundenorientiert und bestens vertraut mit dem Sortiment und den vorhandenen Bestandsmengen. Aber: Die Wareneingangskontrollen waren „schlampig“ („Stimmt sowieso nie)“), kaum jemand interessierte sich überhaupt für Inventurergebnisse, und viele Mitarbeiterinnen auf der Fläche waren naiv und gutgläubig: „Unvorstellbar – unser Kunden klauen doch nicht“, lautete einer der Glaubenssätze unter den Verkäuferinnen.

Ulla Popken

Das Unternehmen wurde 1968 als Fachgeschäft „Mami und Baby“ in Oldenburg (Niedersachsen) gegründet. Heute ist die Popken Fashion Group ein international operierendes familiengeführtes Unternehmen. Die Kollektionen der 4 Marken Ulla Popken, Gina Laura, Studio Untold und JP1880 werden in rd. 600 Filialen im In- und Ausland und über eigene Onlineshops in 30 Ländern vertrieben. Die Mitarbeiterzahl beträgt rd. 3.600. Die Stores sind zwischen 150 und 350 qm groß. Die Standorte der Ulla Popken-Stores befinden sich in A- und B-Lagen in Städten über 50.000 Einwohner und in Einkaufszentren.

Parallel zur Einführung eines neuen Kassen- und Warenwirtschaftssystems stellte man bei Popken 2003 auf eine permanente Inventur um. Müller entschied, die Bestandsverantwortung an die Filialleitung zu übergeben und begann damit, die Inventurdifferenzen je Filiale zu analysieren.

Zu seinen ersten Maßnahmen gehörten:

  • Inventuraufnahme durch „neutrale“ Mitarbeiter aus anderen Filialen, die das Ergebnis der Inventur nicht zu verantworten hatten
  • ein Scanning-Verfahren, das die Mehrfachaufnahme eines Artikels ausschließt und gleichzeitig die Aufnahme jedes einzelnen Artikels sicherstellt 
  • eine dokumentierte Auswertung der Ergebnisse und deren Aushang in den Filialen
  • Zielvorgaben zur Reduzierung der Inventurdifferenzen für Gebiets- und Verkaufsleiter
  • die Verpflichtung zur Kontrolle von Lieferscheinen und der Meldung von Abweichungen („Hört sich nach einer Selbstverständlichkeit an, ist es oft aber nicht“)
  • Entwicklung eines Konzepts zur Schulung der Mitarbeiterinnen
  • die Festlegung eines Grenzwerts für eine zusätzliche Kontrollinventur

Die Inventurdifferenzen werden bei Popken nach Warengruppe, Saison, Größen und Farben ausgewertet. Bei auffallend hohen Inventurdifferenzen bei Artikeln in einer bestimmten Größe lassen sich nicht selten auch Rückschlüsse auf das Profil einer Person ziehen, die als Wiederholungstäter für den eigenen Bedarf stiehlt. „Mit diesen Informationen können Verkaufsmitarbeiter zu erhöhter Wachsamkeit und Aufmerksamkeit angehalten werden“, so Müller.

Die Inventurdifferenzen sind dort niedrig, wo die Filialleitung auf der Fläche präsent ist.

Uwe Müller

Leiter Filialaudit, Popken Fashion Services

Verbindliche Umsetzung

Ulla Popken-Store in Leipzig
Foto: Popken Fashion

Die Schulung der Mitarbeiterinnen bezeichnet der Experte als zentralen Punkt. Die Schulung sollte maximal zwei Stunden dauern und von den Gebiets- oder Verkaufsleitern moderiert werden. Maßnahmen müssen gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen erarbeitet und eine verbindliche Umsetzung festgelegt werden. So sollten die Mitarbeiterinnen dazu verpflichtet werden, jede Kundin mit Blickkontakt zu begrüßen und zu verabschieden und auch mit ihr in Kontakt bleiben, wenn sich diese in der Umkleidekabine aufhält. Wichtig sind zudem realistische Zielvorgaben.

Ein Protokoll der Schulung muss von allen Beteiligten unterschrieben und vor Ort in den Filialen ausgehängt werden. Müller empfiehlt, gute Ergebnisse unternehmensintern zu veröffentlichen und das Ergebnis einer Inventur auch zum Bestandteil der Ermittlung von Prämien für die Filialleitung zu machen. Warengutscheine für gute Inventurergebnisse sollten als zusätzliche Motivation für die Verkaufsmitarbeiterinnen eingesetzt werden. Außerdem sollten die Differenzen mit einer Bondaten-Analyse verknüpft werden – eine Maßnahme, die Mitarbeiterdiebstahl aufdeckt und eine abschreckende Wirkung haben kann.

„Oft sind die Inventurdifferenzen dort besonders niedrig, wo die Filialleitung einen Großteil der Arbeitszeit selber auf der Fläche präsent ist. Leider ist das in Zeiten ausgedünnter Personaldecken nicht immer der Fall“, so Müller. In ausgewählten Filialen mit sehr hohen Inventurdifferenzen setzt Popken auch auf den Einsatz von Überwachungskameras – als Abschreckung für Kunden und Mitarbeiter.

Mit Erfolg: Die Quote, die zuvor über 3,0 Prozent lag, konnte auf 0,3 Prozent reduziert werden. Zuletzt lagen die Inventurdifferenzen für das gesamte Unternehmen bei 0,8 Prozent – ein Wert, der in der Modebranche herausragt und ohne Maßnahmen zur Warensicherung erzielt wurde.

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