Raubüberfälle, Ladendiebstähle und Inventurverluste kosten jährlich viele Milliarden Euro und gefährden Mitarbeiter und Kunden. Im deutschen Einzelhandel belaufen sich die jährlichen Inventurverluste auf etwa 4 Mrd. Euro. Pro Jahr werden weiterhin durch Raubüberfälle über 1.000 Mitarbeiter verletzt oder erleiden teilweise bleibende psychische Verletzungen. Vor diesem Hintergrund kommt der Prävention gegen Diebstähle und Raubüberfälle im Einzelhandel hohe Bedeutung zu. Sowohl die Kriminalpolizei als auch die für den Raubüberfallschutz zuständige Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution empfehlen deshalb in diesem Zusammenhang als Präventionsmaßnahme die Videoüberwachung.  

Kürzlich berichtete die „Welt am Sonntag“, dass Bundesinnenminister Friedrich (CSU) nach der tödlichen Prügelattacke am Berliner Alexanderplatz dafür plädiert, die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen auszuweiten. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat kürzlich entschieden, dass die offene Videoüberwachung der Reeperbahn in Hamburg auf der Grundlage des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei zulässig ist. Nach diesem Landesgesetz darf die Polizei u.a. öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung und
-aufzeichnung offen beobachten, soweit an diesen Orten wiederholt Straftaten begangen wurden und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist. Laut diesem Urteil verfolgt der Gesetzgeber mit der offenen Videoüberwachung von Brennpunkten der Kriminalität legitime Ziele, nämlich derartige Delikte zu verhindern und Vorsorge für deren strafrechtliche Verfolgung zu treffen.  

Anstatt die Videoüberwachung „nur“ für eine spätere Strafverfolgung des Täters vorzusehen, geht die niederländische Polizei einen neuen Weg. Um Raubüberfällen Einhalt zu gebieten, wurde in den Niederlanden in einer Zusammenarbeit zwischen Polizei, Securitas Deutschland, Axis Communications und Brainport die „Kriminalität-Nein!“-Stiftung gegründet und ein spezielles Programm, genannt „Täter – Live im Bild“ entwickelt. Im Falle eines Überfalls beobachten und verwerten private Sicherheits-Unternehmen gemeinsam mit Polizisten die Videobilder sowie weitere Videosignale aus dem privaten Einzelhandel in einer gemeinsamen regionalen Kontroll-Zentrale unter Führung der Polizei.  

Das einzigartige Merkmal der „Kriminalität-Nein!“-Stiftung und „Nein zu Verbrechen im Einzelhandel" ist, dass es sich um eine öffentlich-private Partnerschaft zwischen Regierung und Wirtschaft handelt, die es zurzeit nur in den Niederlanden gibt. Unternehmen und Organisationen sind quasi die Augen und Ohren der Stiftung, wobei die Polizei bzw. die Kriminalpolizei die Verantwortung für alle Untersuchungen trägt. Das Ergebnis ist ein hohes Maß an Synergie durch die Zusammenarbeit in einer geschlossenen Sicherheitskette.

Öffentlich-private Partnerschaft

Und so funktioniert es: Während eines Überfalls bei einem Einzelhändler wird ein Alarm ausgelöst. Die Videobilder der Überwachungskameras sind durch einen unabhängigen Knoten mit der regionalen Kontrollzentrale verbunden. Durch den Alarm werden die Videobilder der Überwachungskameras automatisch und live in die regionale Kontrollzentrale geleitet.

Stiller Überfallalarm

Das Protokoll „Stiller Überfallalarm“ tritt in Kraft. Die Bilder der privaten Kameras beim Einzelhändler werden zunächst von Securitas verifiziert und, sofern notwendig, auf den Bildschirm der Polizei im selben Raum der Kontrollzentrale weitergeleitet. Dort werden sie um die Bilder der öffentlichen Kameras im Umfeld des Ladens ergänzt, wodurch eine Verfolgung des Täters beim Verlassen des Ladens möglich wird.  

Ziel ist es, ad-hoc zusätzliche Informationen zum Überfallgeschehen zu sammeln. Nach Analyse und Verifikation durch die regionale Kontrollzentrale wird das Live-Videobild des Vorfalls direkt und ohne Zeitverlust an die Notrufzentrale der Polizei vor Ort geschickt. Die Leitstelle der Polizei kann anhand der Videobilder entscheiden, ob und in welcher Form interveniert wird.  

Die Polizei führt in allen Phasen Regie, wobei gleichzeitig alle Anforderungen für eine Kamera-Überwachung und den Schutz der Privatsphäre erfüllt werden.  

Das Projekt „Täter – Live im Bild “ von „Kriminalität-Nein!“ und der Polizei hat sich als eine wirksame Waffe im Kampf gegen Raubüberfälle erwiesen. Aktuell wird das Projekt unter Führung des Justizministeriums in alle Regionen der Niederlande ausgerollt.

„Wir sind erstmals in der Lage zu agieren, statt nur zu reagieren.”

Peter van den Ende

Direktor CrimiNee, Niederlande

„Obwohl das Programm erst dieses Jahr eingeführt wurde, sehen wir bereits einen erfreulichen Rückgang von Überfallen um 21 Prozent in der angeschlossenen Region. Mit zunehmender Abdeckung erwarten wir einen weiteren signifikanten Rückgang“, sagt Peter van den Ende, Direktor CrimiNee! Niederlande, Polizeikommissar und Projektleiter des Niederländischen Instituts für Technology, Safety & Security. „Durch die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Partnern gehen keine Informationen verloren, und wir sind erstmals in der Lage zu agieren, anstatt nur zu reagieren“, so van den Ende.  

Erste Gespräche mit Vertretern der deutschen Polizei als auch mit Einzelhändlern im Rahmen des EHI-Sicherheitskongresses lassen ein deutliches Interesse erkennen, ein vergleichbares System auch hier in Deutschland aufzubauen. 

Weitere Informationen: www.criminee.nl

Foto: CrimiNee