Die Marktforscher und Analysten der BOF haben einen 150 Seiten umfassenden Bericht zusammengetragen, der den Zustand der Modebranche beschreibt. „Ich würde gerne sagen, dass es 2024 ruhiger wird als 2023, aber das wird es nicht“, prognostizierte Nick Blunden. „Die Modebranche ist der Seismograph für gesellschaftlich schwierige Zeiten.” So spiegeln sich viele aktuelle Megatrends auch in der Fashionwelt wider.
Künstliche Intelligenz wird mit Vorsicht genossen
Als einen der Haupttrends nannte Blunden Generative KI. 37 Prozent der Modemarken und -händler:innen experimentieren aktuell mit Künstlicher Intelligenz. „Das ist zu wenig im Branchenvergleich. Da müssen wir besser werden“, meint Blunden. Eine Ursache für diese Zurückhaltung sieht der Analyst im Jahr 2022. „Die Innovationskraft der Branche wurde im Metaverse verbrannt“, sagt Blunden. „Langfristig wird generative AI alle Bereiche der Wertschöpfung beeinflussen“.
Ein interessanter Business Case für den Einsatz künstlicher Intelligenz könnte laut Blunden das Thema Produktdesign werden, selbst wenn aktuell wichtige Fragen rund um das Thema Copyright nicht geklärt sind. Und auch in der Kundenkommunikation habe sich KI bereits bedeutsam gezeigt. Die Menge der Chatbot-Nachrichten hat beispielsweise im letzten Weihnachtsgeschäft im Jahresvergleich um 75 Prozent zugenommen.
Die Modebranche ist der Seismograph für gesellschaftlich schwierige Zeiten.
Nick Blunden
Mode wird schneller
Zu diesen ersten positiven Beispielen beim Einsatz künstlicher Intelligenz nannte Blunden einen Grund, warum die Modebranche mit Hilfe von ihr dennoch noch schneller werden muss: Fast Fashion. 40 Prozent aller Kund:innen haben im letzten Jahr bei Shein oder Temu gekauft. „Man mag dem kritisch gegenüberstehen, aber Shein und Temu zeigen eine einzigartige Integration zum Kunden. Das muss man sich anschauen.” Als Erklärung des Siegeszugs der Fast-Fashion-Retailer gab er mehrere Gründe an: Das Modell Direct2Consumer ermögliche aus China die direkte Kommunikation mit den Kunden und die datengetriebene Produktion reagiere blitzschnell auf Kundentrends. Außerdem ermöglichen die kleinen Chargen extreme Umschlagsgeschwindigkeiten praktisch ohne Risiko und die Apps von Shein und Temu sind viel mehr als Shopping-Apps – sie integrieren Content und Gamification, sogar zu Themen, die gar nichts mit Mode zu tun haben.
Im Hinblick auf den Klimawandel sagte Blunden: „Keine Branche ist in der Supplychain so empfindlich wie Mode“. Er zeigte eine Grafik in der deutlich wurde, dass die größten Umweltkatastrophen gerade in den Ländern geschehen, die für die Modebranche eine wichtige Rolle in der Wertschöpfungskette spielen. „Daraus ergibt sich, dass Klimaschutz nicht nur richtig ist, sondern auch einen unmittelbaren Business Case hat“, so Blunden. Diesbezüglich kann als negativer Trend gesehen werden, dass laut dem BOF-Report die Retourenraten weiter steigen: Ein Viertel der gekauften Produkte wurden zurückgeschickt.
Digitale Kanäle als Absatz-Zugpferde
Im puncto Marketing zeichnet sich für die Modebranche Social Media immer mehr als der stärkste Treiber für Traffic ab. So erzeugt in Europa die Referenzierung durch Influencer dreimal so viel Traffic als die Gesamtheit der verschickten Mails oder der ausgespielten Banner.

1.000 Aussteller, 40.000 Besucher – Die Big Show der National Retail Federation ist einer der wichtigsten Treffpunkte für den Handel (und die Technologie)
Foto: Frank Puscher
Außerdem gebe es laut Blunden hinsichtlich der Vertriebskanäle keine Kanalkonsolidierung mehr. Online wächst leicht, offline zeigt sich resistent, Social Commerce ist ein wichtiger Player und Marken werden sowohl direkt an Endkunden verkaufen, als auch über den Handel. Blunden ist ein Verfechter von Partnerschaften. Gerade für kleine und mittlere Marken wird es schwierig, den Kopf über Wasser zu halten.
Zudem hob Blunden die Cyberweek in ihrer Bedeutung hervor. 27 Prozent aller Käufe, so haben die BOF-Marktforscher berechnet, kamen in dieser Woche im vergangenen Jahr zustande. Nicht nur in der Modebranche. Europa hat sich mit einem durchschnittlichen Wachstum von sechs Prozent gut geschlagen, wobei die Wachstumstreiber in Osteuropa, Spanien und den Nordics lagen. In den USA stagnierte der Gesamtumsatz.
All eyes on Brand
Advertising und Marketing werden sich zudem laut des BOF-Präsidenten wieder weiter in Richtung Marke bewegen. „Wir glauben, 2024 gibt es einen Shift weg von Performance-Marketing hin zum Brand-Marketing.” BOF hat gemessen, dass 71 Prozent der Marken planen, ihre Ausgaben im Bereich Branding zu verstärken. Nur 46 Prozent wollen mehr im Bereich Performance ausgeben.
Es gibt aus Sicht von Blunden zwei Gründe, die diese Entwicklung beflügeln. Erstens wird Performance-Marketing zusehends teurer, auch aufgrund der Abschaffung der 3rd-Party-Cookies. Den zweiten Grund hält Blunden allerdings für wichtiger: „In Zeiten, wenn die Menschen unsicher sind, weil die Gesellschaft und die Politik unsicher sind, fordern sie von den Marken Stories ein.”
NRF 2024
Die Retail’s Big Show der National Retail Federation ist eine jährlich wiederkehrende Veranstaltung, die Einzelhändler aller Art zusammenbringt. Auf der in New York stattfindenden NRF 2024 werden mehr als 16.000 Einzelhandelsfachleute von über 6.000 Marken erwartet. Die Veranstaltung bietet die Gelegenheit, mehr als 1.000 ausstellende Unternehmen zu entdecken, an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen und sich mit rund 40.000 Teilnehmern zu vernetzen. Traditionell lädt die Vereinigung Business of Fashion zur Eröffnung der NRF ein. Alljährlich wird ein Bericht durch Marktforscher und Analysten der BOF verfasst.