Auch wenn Covid-bedingt kaum Gäste aus Übersee da waren und zahlreiche Brands fehlten, war die Stimmung durchweg positiv und das Interesse auch vieler europäischer Besucher groß. Konsumexzesse und “Fast Furniture“, das machte die größte Möbelmesse der Welt deutlich, dürften eher der Vergangenheit angehören.

Sensitive Modernism

In vielen Präsentationen war die Suche nach einer klaren, kompromisslosen Form zu spüren. Funktionelle minimalistische Sitzgruppen, wie bei Minotti, erinnern in ihrer ruhigen Sachlichkeit an die japanische Zen-Philosophie. Strukturierte, dreidimensionale textile Oberflächen, matte Lacke und stille Farben laden zum Verweilen ein. Originäre, natürliche Materialien kommen dem Zeitgeist entgegen und werden deutlich sichtbarer verarbeitet. In einer Gemeinschaftspräsentation von Boffi + DePadova huldigte man in einer Time & Style-Edition dem Zusammenspiel italienischer und japanischer Designkultur. Als Farben werden Ecru, tiefe Braun-Töne mit Tusch-Schwarz konturiert. Der neue Sessel von Michael Anastassiadis bei Cassini strahlt mit einer fast quadratischen, leichten Metall-Struktur und klarer, aber weicher Polsterung meditative Ruhe aus. Runde Lampen im Stil Isamu Noguchis, antike Holzkrüge und artisanale Keramik ergänzen mit Patina.

Pagan Minalism

In der gesellschaftlichen Diskussion bekommt Natur einen deutlich höheren Stellenwert. Damit einher geht der Wunsch nach authentischen, fast primitiven Oberflächen. Sie schaffen in Wohnungen oder Stores anziehende Solitäre mit archaischer, fast spiritueller Ausstrahlung. Henry Timi schafft z. B. mit handverputzten Regalen Stelen mit Unikat-Charakter. Der Designer Dror kreierte für Horm einen ikonischen Armchair in gepresstem Schaumstoff. Die spektakuläre Beton-Patina hat Zufallscharakter. Die linearen, wie von Hand geformten Messing-Leuchten von Morghen verbinden Sophistication mit gewollter Unregelmäßigkeit.

Green Evidence

Die Farbe Grün ist mit neuer ökologischer Befindlichkeit eindeutig im Aufwind. Chlorophyll-, Wald- oder zartes Salbei-Grün bevölkern die Kollektionen. Textiles mit moosigen oder samtigen Griffen ist purer Zeitgeist. Moroso druckt grüne Marmorierungen auf seine Chaiselongues. Selbst Regale werden in pflanzlichen Grüns beschichtet. Naturholzflächen passen perfekt dazu und verstärken den ecofriendly Eindruck. Glasstützen nehmen dieser Natürlichkeit in Regalen und Tischen optisch die Schwere (Casalago). Neue Holz-Finishes, wie die „Osis“-Technik von Llott Llov mit Salz und Holzbeize, schaffen natürliche, innovative Pattern.

Stop waste!

Ressourcenschonend und recycelt zu produzieren, wird in den Firmen zur Chefsache. So schafft der Designer Stefan Scholten mit Morsoletto neue Komposite aus Marmor mit Travertin. Diese Tische, Stühle oder Bodenbeläge sind aus 100 Prozent Abfall entstanden und jedes ein Unikat. Scholten sagt: „Nachhaltigkeit ist nicht länger Trend, sondern zwingende Notwendigkeit.“ Der Up-Cycler Cooloo bietet Beschichtungen aus wiedergewonnenem Kork oder Leder. Nomad webt Teppiche aus Fahrradschläuchen und recyceltem Polypropylen. Giovanardi bietet mit Raytent textile Garne aus recyceltem Acryl (50%) an. Wer recycelte Grundstoffe einsetzt, akzeptiert öko-verantwortlich weniger reine bzw. vergraute Farben. Reinweiß wird tabu! Christian Fischbacher präsentiert erstmals Teppiche komplett aus Renu – mit einem Garn aus recycled Sea-Plastic. Die Liste spannender Initiativen ließe sich nahezu endlos fortsetzen.

Eclecticism

In einer Gegenströmung zum Purismus ist das eklektische Sampeln angesagt. Narratives Design mit einer sehr persönlichen Note. Die Dimore Studios gehören hier zum Wallfahrtsort der Designbegeisterten. Sie setzen dieses Jahr einerseits die 30er und 70er Jahre mit Claudio Salocchis Entwürfen in Szene. Schokoladenbraune Wände kontrastieren im gekonnten Mix mit grafischen, metallischen Kontrasten und chinesischen Vasen. Farbiges Glas, vor allem in Braun und Grün, ist omnipräsent und verstrahlt 70s Charme (Dechem, Margherita Rui). Brünierte Metalloberflächen reflektieren in Caramel (Objects of Common Interest – Alcova). Dazu unentbehrlich: Bedruckte Wallpaper in Chinoiserie oder mit Dschungel-Pflanzen (Wall & Co).

Joyful mind

Design hat die Kraft, über Farben, Muster oder Formen Statements zu setzen. Beeindruckendes Beispiel: die Präsentation von Hermès in La Pelota im Bezirk Brera. Charlotte Macaux Perelmann inszenierte mit ihrem Team der Mailänder Scala fünf handverputzte und graphisch dekorierte Häuser, auf Sand gebettet. Das Flair des Südens zusammen mit der gebotenen, handverlesenen Handwerkskunst war einer der stärksten Eindrücke des Fuorisalone. Die grafisch bedruckten Paravents und die „Konfetti“-Netze des japanischen Studios Spread sind hervorragende Dekoelemente, um Räume in einer neuen Leichtigkeit zu strukturieren. Dior zeigte im Palazzo Citterio, wie namhafte Designer dem Klassiker „Medallion Chair“ neues Leben einhauchen.