Vom Kauflust-Killer zum Markeninszenierungs-Ort | stores+shops

Anzeige
{{{name}}}

Vorgeschlagene Beiträge

Anzeige

Einer der jeweils individuell gestalteten Umkleidebereiche im neuen Wormland-Store in der Mall of Berlin (Foto: Blocher Blocher Partners)

Vom Kauflust-Killer zum Markeninszenierungs-Ort

Viele Kunden und Kundinnen jenseits des Teenager-Alters fürchten die Umkleidekabine als Ort der nackten Wahrheit. Statt durch Enge, unbarmherziges Licht und eine muffige Atmosphäre Fluchtinstinkte zu wecken, sollte der Handel psychologisches Fingerspitzengefühl zeigen und alles tun, dass der Kunde sich dort wohlfühlt.

Es ist Winter. Angesichts dicker Jacken und mehrerer Kleidungsschichten übereinander ist der Aufwand der Kunden und Kundinnen beim Anprobieren neuer Kleidungsstücke ungleich höher als im Sommer, wenn lediglich Shirt oder leichte Hose abzustreifen sind. Da wird der Blick auf eine beengte, unattraktive Kabinensituation schnell zum K.o.-Kriterium. Rolf Hartmann, Geschäftsführer des Hamburger Planungsbüros Nette + Hartmann, spricht sogar von einem „Lustkiller“. Und der scheint tatsächlich verbreitet: Das Meinungsforschungsinstitut Synovate und der Beleuchtungsspezialist Philips haben eine Studie erstellt, für die 65.000 Käufer interviewt wurden. Auf die Frage, was für sie das Unbefriedigendste am Einkaufen sei, landete die Umkleidekabine auf dem negativen Spitzenplatz.

So werden auch Begleitpersonen nicht ungeduldig: Wartebereich bei den Umkleiden im Modehaus Gegenüber in Darmstadt (Foto: CRI Cronauer + Romani)

So werden auch Begleitpersonen nicht ungeduldig: Wartebereich bei den Umkleiden im Modehaus Gegenüber in Darmstadt (Foto: CRI Cronauer + Romani)

„Noch immer sind viele Umkleiden zu klein“, bemängelt Rolf Romani, Geschäftsführer der CRI Cronauer + Romani Innenarchitekten aus Bensheim. Auch wenn Verkaufsfläche bekanntlich kostbar ist, sollten Kabinen großzügig sein. „Und das sowohl bei den Abmessungen als auch bei der Anzahl“, sagt Angela Kreutz, Partner und Head of Communication von Blocher Blocher Partners, Stuttgart. Kreutz: „Es gibt einen Richtwert von zwei bis drei Kabinen pro 100 qm. Aber die genaue Entscheidung ist individuell zu treffen, unter anderem abhängig von Geschäftstyp und Warenangebot. Auch deswegen legen wir im Vorfeld der Planungen großen Wert auf eine genaue Standort- und Zielgruppenanalyse.“ Welche Größe ist richtig? „In der Breite mindestens 1,20 bis 1,50 Meter, in der Länge zwischen 1,80 und 2,00 Meter“, lautet der Rat von Heinz-Herbert Dustmann, Geschäftsführer des Dortmunder Ladenbauunternehmens Dula. Rolf Hartmann von Nette + Hartmann erachtet 1,20 x 1,20 Meter als Minimum. „Für Behinderte und Mütter mit Kindern sollten aber komfortablere Flächen vorgesehen werden.“ Der Architekt plädiert zudem für gebündelt platzierte Kabinen, da diese „sowohl für die Kunden leicht als solche zu erkennen, als auch für das Personal gut zu überschauen sind“. Laut Angela Kreutz sollten die Umkleiden außerdem so angeordnet sein, dass sie den Kunden einen „Rückzugsort“ bieten.

Notwendige Grundausstattung

Als notwendige Grundausstattung einer Umkleidekabine führen die Fachleute an:

  • Tür oder Vorhang, die bzw. der seitlich gut zu schließen ist, gleichzeitig aber erkennen lässt, ob die Kabine belegt ist
  • Eine Sitzbank oder ein Hocker, damit der Kunde die Möglichkeit hat, sich zu setzen
  • Ausreichend Ablage für Taschen und Tüten
  • Ausreichend Haken für die eigene und die anzuprobierende Kleidung
  • Zwei Spiegel, die in einem solchen Winkel zueinander stehen, dass sie Rundumsicht gewähren.

Rolf Romani von CRI verweist auf die elektronische Hightech-Variante: „Inzwischen lässt sich in den Frontspiegel die Rückansicht mit einbauen, sie funktioniert ähnlich wie die Rückfahrkamera beim Auto.“ Auf der Empfehlungsliste finden sich weiter:

  • Ein großer Spiegel außerhalb der Kabine, vor dem der Kunde einige Schritte zurücktreten und sich mit mehr Entfernung betrachten kann
  • Sitzgelegenheiten für Begleitpersonen im Umfeld der Kabine, am besten mit Magazinen bestückt. „Drängelnde Begleiter sind nicht verkaufsfördernd“, so Rolf Hartmann.

Offenbar hapert es sogar an vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Rolf Romani spricht das Thema Sauberkeit an. Die Wände sollten beispielsweise nicht mit billiger, schnell verschmutzender Dispersionsfarbe gestrichen werden. Auch Teppichauflagen müssen unbedingt vom Kunden als hygienisch empfunden werden.

Schmeichelnde Beleuchtung

Zum Thema Boden führt Rolf Romani aus: „Kalte Stein- oder Betonbeläge sind nicht angenehm. Auf einem warm anmutenden Echtholz-, Kautschuk- oder Linoleumboden steht es sich deutlich besser.“ Auch ein gutes Raumklima ist für Romani ein wesentliches Kriterium, von der richtigen, nicht zu hohen Temperatur bis zu frischer Luft.

In dieser Umkleidekabine können verschiedene Lichtstimmungen erzeugt werden, sogar mit farbigem Licht (Foto: Philips)

In dieser Umkleidekabine können verschiedene Lichtstimmungen erzeugt werden, sogar mit farbigem Licht (Foto: Philips)

„Die Empfindung für ein Produkt oder eine Umgebung wird maßgeblich durch den Geruchssinn beeinflusst“, so Bettina und Markus Kratz, Geschäftsführer des Düsseldorfer Kreativstudios Kplus Konzept. Wenn sie bei ihren Konzepten Duftmarketing einsetzen, geht es zunächst einmal darum, schlechte Geruchsfelder zu neutralisieren, wie sie gerade auch in Umkleidekabinen vorkommen können, ob von Körperausdünstungen oder Teppichleim.

Auch die Beleuchtung ist das A&O einer verkaufsfördernden Umkleidekabine und in der Realität oftmals ihr größtes Manko. Häufige Fehler sind, so Günter Biert, Geschäftsführer von Elan Beleuchtungs- und Elektroanlagen in Köln: „Spots mittig an der Decke oder direkt vor dem Spiegel, durch die der Kunde Schlagschatten von oben bekommt.“ Elan setzt stattdessen Spots in jede der vier Ecken der Kabine. So wird der Raum rundum erhellt und es entsteht „kein Höhlencharakter“ – die Umkleide wird optisch größer. Als Alternative sei eine großflächige Leuchte (60 cm Durchmesser oder mehr) in der Raummitte geeignet. Wichtig ist, so Biert: „Weiches, blendfreies Licht. Für eine der Haut schmeichelnde Wirkung wählen wir grundsätzlich warmweißes Licht. Dies darf allerdings auch nicht zu sehr ins Rötliche gehen, sonst werden wiederum die Farben der Kleidung verfälscht.“ Wenn ein größeres Budget vorhanden ist, um die Kabinen aufwändiger zu gestalten, können laut Günter Biert zusätzlich indirekte Beleuchtung hinter dem Spiegel oder, beispielsweise im Dessous-Bereich, dekorative Wandleuchten eingesetzt werden, was eine intimere Atmosphäre schafft.

Und was hält der Beleuchtungs-Experte von den inzwischen zahlreich am Markt angebotenen Lichtsteuerungs-Lösungen, bei denen der Kunde in der Kabine auf Knopfdruck die Lichtstimmung ändern kann? „Dies sollte ein Verkäufer leiten, sonst überfordert es den Konsumenten schnell“, so Biert. „Angenommen eine Kundin probiert ein Abendkleid und wählt dazu ‚Candlelight‘. Anschließend kommt die nächste Kundin, die eine weiße Bluse testen möchte, die Beleuchtungsmöglichkeiten aber übersieht oder ignoriert. Dann wäre ‚Candlelight‘ kontraproduktiv und neutrales Licht gefordert. Der Handel sollte lieber ein solides Lichtniveau sicherstellen und, wenn gewünscht, eine dimmbare Beleuchtungslösung wählen, die er selbst über ein Bedientableau abseits des Kundenzugriffs steuern kann, passend zur Abteilung und zur jeweiligen Jahreszeit.“

Hightech in der Kabine

Insgesamt werden die Hightech-Angebote für Umkleidekabinen größer, angefangen vom Tweet-Mirror, mit dem sich ein Bild des anprobierten Teils an Freunde mailen oder posten lässt, um diese beratend hinzuzuziehen bis hin zum RFID-Einsatz. Die Vitrashop- und die Serviceplan Gruppe haben am Firmensitz von Serviceplan in München unter dem Namen „weShop“ einen „POS von morgen“ eingerichtet, der sich dem Thema Online-Offline-Vernetzung widmet. In der Umkleidekabine wird mithilfe der an den Kleidungsstücken angebrachten RFID-Chips erkannt, welche Produkte der Kunde zur Anprobe ausgewählt hat. Ein Bildschirm macht sichtbar, welche Größen, Farben und möglichen Kombinationen darüber hinaus verfügbar sind. Per Klick auf den Button „Mirror“ wird das ausgewählte Outfit auf einem „Spionspiegel“ eingeblendet. 

Das Modehaus Ortner in Dortmund bietet seinen Kundinnen Kabinen mit Tapete, Lederpolstern und Samtvorhängen. (Foto: Dula)

Das Modehaus Ortner in Dortmund bietet seinen Kundinnen Kabinen mit Tapete, Lederpolstern und Samtvorhängen. (Foto: Dula)

Das Ladenbauunternehmen Dula installierte schon 2012 einen RFID-Shop in sein Dortmunder Studio, ebenfalls mitsamt Umkleidekabine. Dort können zum Beispiel die für das Produkt richtigen Pflegehinweise auf dem Monitor eingeblendet werden. Das Kabinenlicht kann automatisch auf das gewählte Kleidungsstück eingestellt werden. Inzwischen wurde der RFID-Shop zu einem E-Commerce-Shop weiterentwickelt. Heinz-Herbert Dustmann: „Die integrierte Umkleidekabinenlösung dient einerseits als Info- und Kommunikationspunkt und ermöglicht andererseits das Hinzurufen von Verkaufs- oder Servicepersonal direkt vom Terminal der Kabine aus. So können zum Beispiel andere Größen oder passende weitere Artikel in die Kabine gebracht werden, ohne dass sich der Kunde wiederholt umständlich an- und ausziehen muss.“

Fazit: Wenn alleine die „Basics“ zum Thema Umkleidekabinen flächendeckend erfüllt wären, so wäre das schon einmal viel wert. Darüber hinaus ist immer mehr möglich. Die befragten Fachleute hoffen, dass der Kabinenbereich zunehmend auch als Ort der Markeninszenierung verstanden wird. „Vom Funktionsraum sollte die Umkleide zu einem Ort werden, an dem sich der Kunde gerne aufhält“, wünscht sich Rolf Hartmann von Nette + Hartmann. „Atmosphäre und Individualität sollten nicht nur der Warenpräsentation vorbehalten sein. Motive, Tapeten, spezielle Materialien wie Holzvertäfelungen oder Filz – das Spektrum der Möglichkeiten ist groß und sollte genutzt werden.“

Fotos: Blocher Blocher Partners (1), CRI Cronauer + Romani (1), Dula (1) und Philips (1) 

Produkt-News