Zwar werden in Deutschland noch immer rund 90 Prozent des Einzelhandelsumsatzes im stationären Handel gemacht. Aber 60 Prozent aller Customer Journeys im Handel weisen inzwischen digitale Kontaktpunkte auf und sind daher „digital beeinflusst“ (Quelle: HDE; BVDW). Holger Wellner, Einzelhändler aus Hameln mit 10 Mode-Geschäften (Haupthaus in Hameln, dazu 9 Franchise-Stores) gehört zu den Unternehmern, die hinter der Notwendigkeit, sich an diese neuen Rahmenbedingungen anzupassen, auch ganz neue Möglichkeiten erkennen. So hat der Mittelständler in den vergangenen Jahren ein gutes Stück des Weges hin zu einem Omnichannel-Anbieter absolviert. „Unser Online-Shop arbeitet mittlerweile mit schwarzen Zahlen und erzielt zwischen 15 und 20 Prozent des Gesamtumsatzes“, berichtet Wellner.

Bei Online-Bestellungen kann sowohl auf das Lager des Stammhauses als auch auf die Bestände der Franchise-Stores zurückgegriffen werden. Über 90 Prozent der Bestellungen werden aus der Fläche gepickt. Wenn Artikel auffällig stark über Online-Kanäle verkauft werden, gibt es eine zusätzliche Bevorratung in der Logistik. Bei Eingang einer Bestellung wird automatisch ein Pickzettel ausgedruckt. Ein Verkaufsmitarbeiter holt die Ware aus dem Lager oder aus den Beständen auf der Verkaufsfläche und scannt das Preisetikett an der stationären Kasse. Der Artikel wird anschließend samt Pickzettel, der jetzt als Lieferschein dient, in einen Karton verpackt und dem Versanddienstleister übergeben. Der Kunde erhält eine automatisch generierte E-Mail mit Informationen zum Bearbeitungsstatus.

Wellner – das Modehaus

Die Wellner-Story begann 1928: Heinrich Wellner versorgte Schneider in der Region Hameln mit Garnen, Tuchen und Futterstoffen. Bis in die 1970er-Jahre agierte das Unternehmen als Großhandel am Stadtrand von Hameln. Erst im Jahre 2002 bezog man die Immobilie, in der sich heute das Modehaus Wellner und die Unternehmensverwaltung befinden. Hier arbeitet etwa die Hälfte der aktuell rund 110 Mitarbeiter. Zu Wellner gehören außerdem neun Franchise-Stores der Modemarken Marc O’Polo (6), Street One, Tommy Hilfiger und Oui in Hameln, Celle, Leipzig und Berlin. Firmenchef Holger Wellner leitet das Unternehmen in vierter Generation.

Digitale Warenbörse

Mit Hochdruck arbeitet Wellner derzeit an einer „digitalen Warenbörse“, bei der seine eigenen Bestände und die von befreundeten Unternehmen technisch auf der Plattform Modehaus.de zusammengeführt und den Mitarbeitern am POS über eine App-Lösung zur Verfügung stehen. „Das Ganze wird wie eine Suchmaschine funktionieren, wie man sie beispielsweise bei der Suche nach Flügen kennt. Unsere Lösung ist zu 90 Prozent fertig, wir werden damit im zweiten Quartal 2019 auf den Markt gehen.“

Vor allem aber bei standortbezogenen Marketingaktivitäten über alle Verkaufskanäle hinweg nimmt Wellner in der Szene des inhabergeführten Modehandels eine Vorreiterrolle ein. Dabei setzt er auf die Kunden-App mit Beacon-Technologie: Sender im Store senden Funksignale, die von Bluetooth-fähigen Smartphones empfangen werden können. Damit können Kunden, die ihre Einwilligung gegeben haben, beispielsweise Push-Nachrichten aufs Handy gesendet werden. So lassen sich Willkommensbotschaften, lokale Angebote oder Gutscheine und Coupons ausspielen und die Besuche von Kunden und deren Verweildauer im Modehaus erfassen. Die Resonanz auf eine Kampagne kann in Echtzeit nachvollzogen werden. Das umfasst die Analyse der CRM-, POS- und Verkaufsdaten sowie die Erfassung kundenspezifischer Daten wie Name und Kundennummer.

Wellner wendet die Beacon-Technologie aktuell testweise sowohl im Modehaus als auch in 3 der 9 Franchise-Stores an. Diese 3 Geschäfte befinden sich alle in dem Hamelner Einkaufszentrum „Stadt-Galerie“. „Wir nutzen die Beacon-Technologie hier zur Frequenzsteigerung. Potenzielle Kunden, die in der Stadt-Galerie flanieren, wollen wir mit Push-Nachrichten dazu motivieren, auch unser nahegelegenes Haupthaus zu besuchen.“

Beacon-Technologie

Dort hat die Beacon-Technologie eine andere Zielsetzung: Cross-Selling. „Befindet sich beispielsweise eine Kundin in unserer DOB-Abteilung, hat aber über einen längeren Zeitraum keinen Wäscheartikel mehr bei uns gekauft, dann kann das System ihr einen Gutschein für die Wäscheabteilung aufs Smartphone senden“, beschreibt Wellner die aktuelle Test-Anwendung. „Die App-Kampagnen bringen einen Response von 20 bis 40 Prozent. Die höchsten Einlösequoten erreichen Gutschein- Kampagnen.“ Insgesamt wurden 75 Beacon-Funksender installiert. Die Beacons arbeiten wartungsfrei mit Dauerstrom, da sie direkt in die Lichtinfrastruktur integriert sind (Anbieter: Osram).

Das nächste Projekt bei Wellner: den Bildschirm in der Strumpfabteilung mit der Kunden-App auf dem Smartphone verknüpfen

Das nächste Projekt bei Wellner: den Bildschirm in der Strumpfabteilung mit der Kunden-App auf dem Smartphone verknüpfen.
Foto: Wellner

Weitere Pläne im Zusammenhang mit Kunden-App und Beacons betreffen die Strumpfabteilung im Haupthaus. Hier sollen beide Tools mit einer weiteren Technologie verknüpft werden: Digital Signage. Sobald das System erkennt, dass sich in der „Strumpf-Lounge“ ein Kunde oder eine Kundin mit Wellner-App befindet, soll auf einem Display eine Bewegtbild-Kampagne ausgespielt werden – mit Motiven passend zum Geschlecht der Person.

Wellners Digitalisierungsoffensive verändert auch die Prozesse der Kommunikation mit den eigenen Mitarbeitern. Beispiel: der digitale, mobile Personaleinsatzplan. Früher fotografierten die Mitarbeiter mit dem eigenen Smartphone die Arbeitspläne vom schwarzen Brett oder schrieben diese ab. Heute werden die Einsatzpläne nach Erstellung in einem System von SEAK Software (Reinbek) den Mitarbeitern digital zur Verfügung gestellt. Sie können auf die Dienstpläne per Smartphones oder Tablet-PC zeitund ortsunabhängig zugreifen. Planänderungen können per Mausklick an alle Betroffenen weitergeleitet werden.

Weitere Informationen: redaktion@ehi.org

Omnichannel krempelt das ganze Unternehmen um

 

Der Unternehmer Holger Wellner über den Wandel im Fashion-Handel, ausgelöst durch die digitale Revolution.

Der Umgang mit Daten und der Einsatz von Technologie werden auch im Modehandel immer wichtiger. Dabei waren doch einst die Mode selbst und der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Verkäufer Kern des Einkaufserlebnisses und Erfolgsgarantie. Heute nicht mehr?

Fashion war immer ein „People Business“ und wird es immer bleiben, denn ohne Menschen keine Emotionen. Die Digitalisierung bringt dem Handel jedoch so etwas wie einen Werkzeugkasten mit neuen, zusätzlichen Tools.

Sie gelten als Vertreter der These, dass man als Omnichannel-Anbieter ganz anders denken muss als ein traditioneller Einzelhändler. Warum?

Früher waren Kunden von unserem Sortiment auf 3.500 Quadratmetern beeindruckt. Heute nicht mehr. Früher betraten die Kunden ein Geschäft mit einer klaren Kaufabsicht. Wer kam, der kaufte – meistens. Die Conversion Rate war hoch. Heute gibt es zwar immer noch Stammkunden. Aber die Bindung ist weniger stark als früher. Denn auch unsere Stammkunden kaufen Mode nicht nur bei Wellner, sondern auch woanders und auch über digitale Kanäle. Wenn man diese Stammkunden dann fragt, bei welchem Anbieter sie denn Mode online bestellen, dann kommt für mich noch zu selten die Antwort „bei Wellner“. Die Lösung kann deshalb nur darin bestehen, auch über digitale Kanäle für die Kunden da zu sein.

Was ist Ihr Ziel und was der Weg dorthin?

Wir wollen im Mindset unserer Kunden zu den Top 10 der Online-Modeanbieter gehören. Das geht nur über intelligente digitale Kaufimpulse über unsere Website, E-Mail-Kampagnen, Push-Nachrichten übers Smartphone an Kunden mit Wellner-App und Präsenz in den sozialen Medien.

Wenn Sie an die Anfänge Ihres Online-Handels denken – was würden Sie heute anders machen?

Omnichannel krempelt das ganze Unternehmen um. Wir haben sieben Jahre geübt und jeden Fehler ausprobiert.

Welche zum Beispiel?

Wir haben zu Beginn nicht alle Mitarbeiter „mitgenommen“. Außerdem haben wir in Sachen Prozesse teilweise zu kompliziert gedacht. Ob klassische Online-Bestellung mit Versand an die Kundenadresse, Online-Bestellung im Geschäft via sogenannter virtueller Regalverlängerung oder Online-Bestellung des Kunden mit Abholung der Ware im Geschäft – jede dieser Varianten wurde unterschiedlich bearbeitet. Heute haben wir standardisierte, einfache Prozesse, bei denen die Art der Auftragserteilung kaum eine Rolle spielt. Gleichzeitig muss die Botschaft gegenüber den Kunden eindeutig sein: Wir können den gewünschten Artikel besorgen. Entweder in einem unserer Stores, beim Hersteller oder über eine Internet-Plattform.