Warenmanagement über eine ERP-Lösung, in die externe Daten nur begrenzt und häufig nur mit hohem manuellen Aufwand eingebunden werden können – so wird im Modehandel üblicherweise gearbeitet, auf dieser Grundlage wird disponiert, werden Saisonartikel und NOS-Artikel gemanagt. So arbeiteten bis Ende vergangenen Jahres auch die Adler Modemärkte.
Inzwischen ist das Warenmanagement bei Adler neu aufgestellt. „Wir wollten Antworten finden auf die datengetriebenen Geschäftsmodelle der großen Online-Anbieter, auf dynamische Modetrends, auf steigende Kundenerwartungen und auf sinkende Marken-Loyalitäten“, sagt Marcel Turhan, Head of PME/PMO bei Adler. So wurden im Team hunderte Anforderungskriterien an ein neues Warenmanagement definiert. Der Markt für ERP-Software wurde sondiert, die Lösungen von fünf Anbietern evaluiert und drei Anbieter zu Präsentationen eingeladen. Ausgewählt wurde letztlich die über eine Cloud-Plattform arbeitende und von Machine-Learning getriebene Lösung des Start-ups Aifora.
Wir wollten Antworten finden auf die datengetriebenen Geschäftsmodelle der großen Online-Anbieter.
Marcel Turhan
Automatisierte Entscheidungen
Aifora transferiert über eine Schnittstelle zum ERP-System von Adler alle relevanten Daten auf seine Plattform, wo sie mit externen Daten kombiniert und in nutzbare Informationen umgewandelt werden. Über selbstlernende Algorithmen und adaptive Verfahren werden dabei in einer Microservice-Architektur automatisierte Entscheidungen für die Warenbewegungen getroffen. „Die Flexibilität und Agilität, die diese moderne Technologie mit sich bringt, erweitert unsere Möglichkeiten“, erklärt Aifora-CTO David Krings. Die Warenströme werden über die folgenden Programm-Bausteine gesteuert:
Replenishment: Dieses Tool sorgt für die automatische Erstbestückung und Nachversorgung von NOS-Ware. Über zahlreiche Parameter, die sich auf Basis intelligenter Algorithmen auf die variablen und dynamischen Situationen des schnelllebigen Fashion-Geschäfts einstellen, werden tagesaktuell erforderliche Bestände entwickelt. Das Programm schlägt auch vor, welche Saisonartikel auf die NOS-Liste kommen und welche dort gestrichen werden sollten. In den Adler Modemärkten wurde früher, was Filiale, Artikel und Artikelgrößen anging, mit relativ statischen Sollbeständen gearbeitet. „Dies war aufgrund der sich ständig ändernden Parameter und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer fast täglichen Anpassung der Sollbestände nicht leistbar“, sagt Marcel Turhan.
Allokation: Dieses Tool ist dafür zuständig, individuell für jeden Verkaufspunkt die richtigen Artikel in der richtigen Menge und zum richtigen Zeitpunkt bereitzustellen. Der Bedarf wird dabei mithilfe selbstlernender Algorithmen prognostiziert. Das Tool arbeitet dazu mit Kausalmodellen, die neben Modetrends, Preisen, Promotions und Wetterdaten viele weitere Kriterien und Ereignisse in die Berechnung mit einbeziehen. Von der initialen über die nachgelagerte Allokation bis hin zum letzten Push ermittelt das System so die optimalen Mengen, jeweils angepasst an die verfügbaren Kapazitäten und Verkaufsflächen. „Nur so lassen sich möglichst niedrige Kosten, minimale Abschläge und maximale Umsätze erzielen“, sagt Aifora-CEO Thomas Jesewski. Dazu gehören zum Beispiel auch Holdbacks – also die Vermeidung von Überdeckungen in einer Filiale, indem ein Teil der geplanten Lieferung zurückgehalten wird.
Transfers: Dieses Tool ist dazu da, Ungleichgewichte im Zusammenspiel der Online- und Offline-Vertriebskanäle zu minimieren. Auch hier berechnen und analysieren selbstlernende Algorithmen automatisch die denkbaren Kombinationen und schlagen proaktiv die profitabelsten Transfer-Optionen vor. Das System identifiziert dazu für jeden Einzelartikel potenzielle Quell- und Zielfilialen und gleicht den erwarteten Nutzen ab. Dies erfolgt auf Basis der Verkaufs- und Bestandsentwicklung und mithilfe von „What-if“- Szenarien. Einflussfaktoren wie Alterungs- und Transportkosten fließen dabei ebenso in die Berechnung ein wie Entfernung und Größe der Stores bzw. Läger. „Das Programm unterstützt damit auch die von Crosschannel-Kundenservices ausgelösten Warenbewegungen“, so Marcel Turhan.
Die Vorbehalte im Handel gegen das Daten-Sharing schwinden langsam.
Thomas Jesewski
Bestände reduzieren
Für eine gesicherte Zwischenbilanz des Nutzens ist es noch zu früh. Turhan geht allerdings davon aus, dass diese Form des intelligenten Warenmanagements geeignet ist, den Waren-Gesamtbestand in den Adler Modemärkten deutlich zu reduzieren, die Brutto-Marge zu erhöhen und mittelfristig auch den Umsatz zu steigern.
Solche Benefits stehen und fallen naturgemäß mit der Prognose-Genauigkeit des Systems, und diese wiederum ist von Mengeund Qualität der eingespeisten Rohdaten abhängig. Zu den Aifora-Handelskunden gehören neben Adler auch Peek & Cloppenburg Nord sowie Reno. Bislang arbeiten diese Händler auf der Plattform komplett getrennt voneinander. Aifora hat inzwischen jedoch eine Data-Sharing-Option eingerichtet, um die Datenbasis zu erhöhen und damit zu noch exakteren Ergebnissen zu kommen. „Die Vorbehalte im Handel gegen solche Modelle schwinden langsam“, beobachtet CEO Thomas Jesewski und betont, dass Daten-Anonymität garantiert sei.
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