Die Tankstelle der Zukunft: nicht nur Einkaufsstätte, sondern auch Pick-up-Station, Mobilitätsdrehscheibe und einiges mehr

Die Tankstelle der Zukunft: nicht nur Einkaufsstätte, sondern auch Pick-up-Station, Mobilitätsdrehscheibe und einiges mehr
Foto: Aral

Tanken bei laufendem Motor und mit brennender Zigarette ist und bleibt verboten – ihr Smartphone dürfen Autofahrer dagegen neuerdings gerne benutzen. Das Risiko, damit versehentlich einen Brand auszulösen, gilt inzwischen als verschwindend gering. Und so führen immer mehr Mineralölgesellschaften mobile Apps ein, mit denen die Tankfüllung direkt an der Zapfsäule bezahlt werden kann. Eiligen Kunden soll der neue digitale Service den Umweg in den Shop und Wartezeiten an der Kasse ersparen. Gleichzeitig wird das Kassenpersonal entlastet und Gedränge in der Kassenzone vermieden. So können die Betreiber zum einen Personalkosten sparen. Alternativ gewinnen sie freie Personal- und Flächenkapazitäten für zusätzliche Serviceangebote.

Die Mineralölbranche steht vor einem grundlegenden Wandel. Trends wie E-Mobilität, autonomes Fahren, Car- und Ride-Sharing oder Urbanisierung verändern die Kundenanforderungen und erfordern neue Geschäftsmodelle. Konzepte für die „Tankstelle der Zukunft“ stellt eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Auftrag von Aral vor. Standorte am Stadtrand könnten sich demnach zur Umsteigestation für Pendler mit umfassendem Serviceangebot entwickeln. Im ländlichen Raum wird die Tankstelle zum sozialen Treffpunkt und Nahversorger, im Stadtzentrum zum urbanen Mobilitäts-Hub mit Drohnen-Landeplatz und Co-Working-Space. Flexible Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und branchenübergreifende Services wie Packstation, Click & Collect, Kontoservices oder Taxi- und Lieferdienste spielen eine wichtige Rolle – und erfordern digitale Zugangs- und Bezahloptionen.

Customer Journey wird digital

Tanken, zahlen, weiterfahren: Die App „Fillibri“ gehört zu jenen, die es möglich machen

Tanken, zahlen, weiterfahren: Die App „Fillibri“ gehört zu jenen, die es möglich machen
Foto: Fillibri

Das hat die Branche erkannt: „Die Mineralölgesellschaften treiben die Digitalisierung ihres Vertriebs mittlerweile aktiv voran“, bemerkt Unternehmensberater und Branchenexperte Jens Stolte. Noch entfallen zwar keine zwei Prozent des Tankumsatzes auf mobile Apps (siehe Grafik). Doch mittelfristig werde das Smartphone die Customer Journey grundlegend verändern. „Mobiles Bezahlen an der Zapfsäule ist der Einstieg und wird in den kommenden Jahren mit Sicherheit signifikant wachsen“, so der Sprecher des verbandsübergreifenden Arbeitskreises Card und Automation der Mineralölwirtschaft.

Begünstigt vom Trend zu kontaktlosen Zahlungen kommt der Roll-out in Schwung. Nach Vorreiter Shell bieten seit Mitte des Jahres auch Esso und Aral an immer mehr Standorten die Möglichkeit, direkt an der Pumpe zu bezahlen. Als langjähriger Partner im Payback-Verbund nutzt Aral unter anderem die branchenübergreifende Loyalty-App, Esso und Shell haben eigene Applikationen entwickelt. Shell bietet Mobile Fueling bereits seit 2017 an. Im Oktober 2020 wurde die App (ehemals Motorist) mit überarbeiteten Funktionen relauncht.

Ob sich unternehmenseigene Bezahllösungen beim Tanken langfristig durchsetzen, bleibt abzuwarten: „Ich bin überzeugt, dass die Kunden auf Dauer keine Lust haben, unterschiedliche Apps für jede Marke und Region zu nutzen“, sagt Karsten Hüls, CEO und Gründer von Fillibri (siehe Interview). Das Münsteraner Start-up aus dem Tankstellen-Umfeld hat deshalb eine offene Tank-App entwickelt, die mittelständischen Unternehmen hohe Entwicklungsaufwände spart. An mehr als 600 Tankstellen, darunter die meisten Westfalen-, HEM-, Markant-, Team- und Willer-Stationen, kann bereits via Fillibri bezahlt werden.

Start-ups am Start

Ähnlich wie der Mobile Checkout im Handel entwickelt sich Mobile Fueling zum Betätigungsfeld für Gründer. Neben Fillibri haben beispielsweise auch Fintechs wie Pace, Thinxnet oder Zahlz mobile Tanklösungen auf den Markt gebracht.

Anteile der Zahlungsarten am Gesamtumsatz an Tankstellen in Deutschland

Anteile der Zahlungsarten am Gesamtumsatz an Tankstellen in Deutschland
Foto: Stolte Consult, Uniti Jahreserhebung 2020

Das Münchner Start-up Pace hat kürzlich den Flottenkarten-Betreiber DKV als Partner gewonnen. Aktuell ist die App an rund 1.400 Tankstellen in Europa verfügbar. Wettbewerber Thinxnet hat kürzlich den Mineralölkonzern BP als Investor gewonnen, der „ryd pay“ europaweit an rund 8.500 Stationen der Marken BP und Aral einführen will. Neben dem Smartphone-Geschäft hat Thinxnet den Zukunftsmarkt der In-Car-Payments im Visier. Laut Juniper Research werden 2025 bereits Zahlungen im Wert von 86 Milliarden US-Dollar über smarte Bordsysteme direkt im Auto abgewickelt, darunter auch immer mehr Online-Einkäufe. Schon heute können Drittanbieter „ryd pay“ nicht nur in eigene mobile Applikationen einbinden, sondern auch per nachrüstbarer Telematikbox (OBD) oder in fest installierten Bordsystemen bereitstellen. Der Autokonzern Daimler nutzt die Bezahlfunktionen für seine Tank-App Bertha, Mastercard hat sich 2021 ebenfalls an Thinxnet beteiligt.

Branchenübergreifende Kooperationen mit Autoherstellern, Finanz- und Mobilitätsdienstleistern sind für die Mineralölbranche ein vielversprechender Weg, Reichweite für ihre Apps aufzubauen und die Nutzungshäufigkeit zu steigern. Auch für den Handel ergeben sich Chancen. Ein aktuelles Beispiel liefern Aral und Rewe.

An mehr als 600 Aral-Stationen können Kund:innen bei Rewe-to-go frische Lebensmittel kaufen. Umgekehrt erwägt Aral den Aufbau eines Ladenetzes auf dem Supermarktparkplatz. Beide Unternehmen akzeptieren bereits das mobile Bezahlverfahren Payback-Pay. Nahtlose Zahlungsmöglichkeiten für den Lunch-to-go an der Tankstelle oder das Laden des E-Fahrzeugs beim Einkaufen könnten für beide Seiten als Kundenservice weiter an Bedeutung gewinnen.

The winner takes it all

Nur eine reichweitenstarke, nutzerfreundliche Tank-App wird sich auf Dauer durchsetzen, sagt Karsten Hüls, CEO von Fillibri. Das Start-up aus der Mineralölbranche wurde 2020 von der Westfalen-Gruppe gegründet.

Seit knapp einem Jahr ist die Fillibri-App am Markt. Wie viele Nutzende haben Sie?

Das kann ich nicht verraten, wir sind allerdings sehr zufrieden. Allein im letzten Quartal haben sich die Registrierungen verdoppelt und auch in puncto Aktivität und Kundentreue liegen wir deutlich über den relevanten Benchmarks.

Worauf führen Sie das zurück?

Zum einen haben wir die App für Nutzer sehr einfach und intuitiv gestaltet, ohne viel Schnickschnack. Zum anderen sind wir bewusst als offene, markenübergreifende Lösung angetreten. Ich bin fest überzeugt, dass die Kunden auf Dauer keine Lust haben, für jede Tankstelle und Region eine andere App zu installieren.

Aktuell sind ja bereits eine ganze Reihe von Mobile-Fueling-Anbietern am Start. Wie viele werden überleben?

Kurzfristig wird die Vielfalt vermutlich sogar noch steigen, in drei bis fünf Jahren wird es jedoch zur Konsolidierung kommen. Mobile Fueling ist ein „The winner takes it all“-Markt. Die App mit der größten Reichweite wird ihren Vorsprung immer weiter ausbauen und sich am Ende durchsetzen. Um weiter zu wachsen, werden wir weitere Einsatzmöglichkeiten anbieten. Aktuell sind wir zum Beispiel mit der Autowäsche gestartet. Perspektivisch ist aber auch ein Einsatz über die Tankstelle hinaus vorstellbar.

In-Car-Payments gelten als Wachstumsmarkt. Macht der Bordcomputer Tank-Apps vielleicht schon bald überflüssig?

Nein, ich glaube das Smartphone wird noch lange das führende Interface bleiben. Zum einen lässt die User Experience der meisten Bordsysteme noch sehr zu wünschen übrig. Zum anderen können Sie Ihr Handy beim Aussteigen mitnehmen und es deshalb erheblich vielfältiger nutzen.