Täglich verschwinden Waren im Wert von über 6 Mio. Euro

Die aktuelle EHI-Studie zur Entwicklung der Inventurdifferenzen zeigt leichte Verbesserungen: Im Vergleich 2011 zu 2010 haben sich die Inventurdifferenzen im deutschen Einzelhandel insgesamt leicht reduziert. Jedoch gab es unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Branchen. Während Baumärkte und nahezu der gesamte Lebensmittelhandel ihre Inventurdifferenzen im Durchschnitt um rund 10 Prozent reduzieren konnten, musste der Bekleidungshandel eine Zunahme bei den Bestandsdifferenzen feststellen. Ladendiebstahl ist nach wie vor ein alltägliches Phänomen im Einzelhandel. Gestohlen wird praktisch alles, egal ob hoch- oder niedrigpreisig. Auch wenn die Statistiken generell eher rückläufig sind, ist der wirtschaftliche Schaden enorm. Der Schaden wird dabei nicht nur von externen Tätern verursacht, auch die Mitarbeiter sind nicht selten für Diebstähle verantwortlich.

Inventurverluste: 3,8 Milliarden Euro

Im gesamten deutschen Einzelhandel summieren sich die Inventurdifferenzen auf 3,8 Milliarden Euro. Nach wie vor verursachen unehrliche Kunden hiervon rund 1,9 Milliarden Euro, den eigenen Mitarbeitern werden 800 Millionen Euro Schaden angelastet. Statistisch betrachtet stiehlt jeder deutsche Haushalt jährlich Waren im Wert von rund 50 Euro im Einzelhandel. Auf den Lebensmittelhandel projiziert bedeutet dies, dass rund jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt die Kasse passiert. Und das, obwohl die polizeiliche Kriminalstatistik 2011 abermals einen Rückgang um 0,6 Prozent auf nunmehr 385.463 angezeigte Fälle (leichter und schwerer Ladendiebstahl) registrierte.

Nach wie vor schmälert eine durchschnittliche Inventurdifferenz von 0,56 Prozent – bewertet zu Einkaufspreisen in Prozent vom Nettoumsatz – die Renditen im Einzelhandel. Bewertet zu Verkaufspreisen in Relation zum Bruttoumsatz entspricht dies in branchengewichteter Hochrechnung einem Wert von durchschnittlich 0,99 Prozent des Umsatzes.

Als Orientierung können die folgenden Mittelwerte angegeben werden, obwohl ein direkter Vergleich von Inventurdifferenzen verschiedener Unternehmen nur bedingt möglich und sinnvoll ist:

Im Lebensmittelhandel (inkl. C&C-Märkte) liegen die durchschnittlichen Inventurdifferenzen bei 0,50 Prozent. Die C&C-Märkte schneiden traditionsgemäß mit Werten um 0,2 Prozent am besten ab. SB-Warenhäuser haben nunmehr mit 0,45 Prozent vom Nettoumsatz deutliche Verbesserungen erzielen können. Bei Supermärkten bis 2.500 qm betragen die durchschnittlichen Differenzen 0,52 Prozent, während große Supermärkte im Schnitt 0,58 Prozent ausweisen. Drogeriemärkte liegen mit durchschnittlich 0,84 Prozent ungefähr auf Vorjahresniveau. Die beteiligten Baumarktunternehmen haben durchweg niedrigere Inventurdifferenzen feststellen können, 2011 durchschnittlich 0,76 Prozent.

Im Bekleidungshandel insgesamt sind die durchschnittlichen Inventurdifferenzen von 0,49 auf 0,51 Prozent gestiegen. Während die Bekleidungsfachgeschäfte (0,45%) und Textilfachmärkte (0,61%) höhere Verluste erlitten, konnten Textilkaufhäuser einschließlich Warenhausunternehmen ihre Inventur-Mankos mit 0,52 Prozent auf Vorjahresniveau halten. Die an der Erhebung beteiligten Möbelhäuser unterschiedlichster Sortimentsausrichtung konnten ihre Differenzen auf 0,31 Prozent vom Nettoumsatz leicht reduzieren.

Handel investiert in Sicherheit: Ehrliche Kunden zahlen mit

Im Durchschnitt aller Branchen gibt der Handel rund 0,31 Prozent vom Umsatz für Sicherheitsmaßnahmen aus. Damit investiert der Handel Jahr für Jahr rund 1,2 Milliarden Euro in Präventiv- und Sicherungsmaßnahmen, um seine Waren vor Diebstahl zu schützen. Im Fokus der Sicherheitsaufwendungen stehen verbesserte Warensicherung und Kameraausstattung sowie Schulungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit von Mitarbeitern. Aufmerksames Personal, offene Kameraüberwachung, Testkäufe und vor allem diebstahlhemmende Warenträger und Warensicherung gewinnen aktuell weiter an Bedeutung. Permanente Datenanalysen zur Erkennung von diebstahlgefährdeten Artikeln und Schwachstellen gehören in über 80 Prozent der Unternehmen zum Alltag.

Die Gesamtkosten für Inventurdifferenzen und deren Vermeidung betragen jährlich 5 Milliarden Euro, die der Handel wie alle Kosten in seine Verkaufspreise einkalkulieren muss: Jeder ehrliche Kunde wird also bei jedem Kauf mit über einem Prozent des Kaufpreises an den Schäden durch Ladendiebstahl beteiligt.

Tatort Verkaufsraum

Nach Einschätzung von Experten aus dem Handel entfallen im Durchschnitt aller Branchen 51 Prozent der gesamten Verluste auf Kundendiebstähle, während man wertmäßig den eigenen Mitarbeitern 21 Prozent anlastet. In absoluten Zahlen ergeben sich daraus etwa 1,9 Milliarden Euro Schaden durch Kundendiebstähle und 800 Millionen Euro durch eigene Mitarbeiter. Es steht außer Frage, dass im Verkaufsraum und an der Kasse mit mindestens zwei Dritteln aller Verluste die meisten Diebstähle erfolgen. Im Durchschnitt aller Branchen entstehen etwas mehr als die Hälfte der Verluste im Verkaufsraum und knapp 18 Prozent an der Kasse.

Zu den am häufigsten geklauten Artikeln gehören im Lebensmittelhandel nach wie vor kleine, teure Waren wie Rasierklingen, Spirituosen, Parfüm, Kosmetik und Tabakwaren. Im Bekleidungshandel werden vor allem Markenartikel bevorzugt, aber auch modische Artikel, Jeans, Jacken, Accessoires und Dessous werden oft nicht bezahlt. Smartphones, Konsolenspiele, CDs, DVDs, Speicherkarten und Druckerpatronen gehören zu den Klaurennern im Elektronikhandel.

Dunkelfeld Ladendiebstahl

Von einer entspannten Lage bei der Ladendiebstahl-Kriminalität zu sprechen, ist angesichts des enormen Dunkelfeldes völlig abwegig. Trotz rückläufiger Statistiken wird im Handel nach wie vor gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist. Der stetige Rückgang der angezeigten Ladendiebstähle in der Polizeilichen Kriminalstatistik spiegelt offensichtlich nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider.

Die aktuellen Einschätzungen des Handels zur Kriminalitätslage stehen im Widerspruch zu der Statistik. Durch die hohe Dunkelziffer von über 98 Prozent besitzt die Statistik nur eine eingeschränkte Aussagefähigkeit. Zunächst muss man wissen, dass die Kriminalstatistik nur angezeigte Fälle berücksichtigt, die in Summe weniger als 2 Prozent des Gesamtschadens ausmachen, dass aber jährlich rund 30.000.000 Ladendiebstähle – also 100.000 Delikte je Verkaufstag mit einem durchschnittlichen Schaden von rund 65 Euro – unentdeckt bleiben!

Hinzu kommt, dass jeder der rund 2,5 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel einen „durchschnittlichen statistischen Schaden“ von 350 Euro im Jahr verursacht. Dadurch wird sehr schnell deutlich, dass nur wenige unehrliche Mitarbeiter enorme Schäden verursachen, während bei Kundendiebstählen die Häufigkeit der Taten zum deutlich höheren Schaden führt.

Ladendiebstahl: Zunehmend professionell

Die Händler erwarten in allen Bereichen der Einzelhandelskriminalität eine Zunahme. In der Wahrnehmung der Händler steht vor allem der organisierte Ladendiebstahl – im Sinne von Bandendiebstählen und Diebstählen auf Bestellung von professionell agierenden Tätergruppen – im Fokus, die bei jedem Zugriff wertmäßig hohe Schäden verursachen. Auch die zunehmende Gewaltbereitschaft potenzieller Täter und der gewöhnliche Gelegenheitsdiebstahl durch Kunden bereitet den Einzelhändlern Sorgen.

Die meisten Handelsunternehmen bewerten die Zusammenarbeit mit der Polizei bei der Bekämpfung des Ladendiebstahls als gut. Allerdings wird die anschließende Strafverfolgung als vollkommen unzureichend bemängelt. Eine breitere öffentliche politische Diskussion der Problematik des Ladendiebstahls könnte zu einem stärkeren Unrechtsbewusstsein und einer größeren gesellschaftlichen Ächtung dieser vermeintlichen Bagatelldelikte beitragen. Der Entkriminalisierung des Ladendiebstahls muss vehement widersprochen werden, Strafverfahren müssen schnell und konsequent geführt werden.

Die hohe Zahl der Ladendiebstahls-Delikte wird mit gesellschaftlichen Problemen und damit verbundenem Wertewandel begründet. Aspekte wie fehlendes familiäres Umfeld, unzureichende Bildung, steigende Armut, mangelnde Integration von Immigranten, zunehmende Verschuldung von Privathaushalten, aber vor allem auch die fehlende Vorbildfunktion in Politik und Wirtschaft fördern das abnehmende Unrechtsbewusstsein beim Ladendiebstahl. Angesichts der gefühlten Verschwendung bei der Verwendung öffentlicher Gelder fristen die „kleinen“ 3,8 Milliarden Inventurdifferenzen geradezu ein Schattendasein. Dennoch ist hier die Politik gefordert, vor allem im Bildungssektor für mehr Rechtsbewusstsein und Anerkennung von Eigentumswerten zu sorgen.

Den gesellschaftlichen Werteverfall kann der Handel nicht stoppen, er kann nur weiter in Datenanalysen, Sicherheitstechnik und aufmerksames Personal investieren, um die Verluste durch Ladendiebstahl in einem für ihn erträglichen Rahmen zu halten. Vor allem der Aufmerksamkeit und der Sensibilität der Mitarbeiter kommt eine Schlüsselrolle zu. Lange Öffnungszeiten bei geringer Personalbesetzung machen es immer schwieriger, eine Flächenaufsicht zu gewährleisten und erfordern zum Ausgleich Warensicherung und Überwachungsmaßnahmen mittels Kameratechnik.

Überall dort, wo Kameras deutlich sichtbar installiert sind, muss ein Straftäter immer damit rechnen, dass er sofort, aber auch noch im Nachhinein identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden kann. Auch für die Polizei sind Kamerabilder nach Straftaten oft das einzig wirksame Instrument zur Täteridentifizierung. Die Polizei gibt sogar Empfehlungen zur optimalen Kamerapositionierung, damit Bilder einer Tat mit Bilddatenbanken der Polizei abgeglichen werden können.

Weiterhin hohe Aufmerksamkeit gefordert

Das „akzeptable“ Niveau der Inventurdifferenzen stellt keinen Anlass dar, Investitionen und Aufwendungen für Präventiv-, Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu vernachlässigen. Über 80 Prozent der befragten Handelsunternehmen halten ihr Budget dafür in 2012 konstant, und weitere 13 Prozent stocken es sogar auf. Das Bedrohungspotenzial durch Kundendiebstahl und Mitarbeiterdelikte wird von den Unternehmen ernst genommen – wie die Einschätzungen der Handelsunternehmen zur Kriminalitätsentwicklung im Handel belegen.

Auch wenn Vertriebsaspekte oft im Vordergrund stehen, sind Warensicherungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen oft zwingend und gezielt einzusetzen. Oftmals kritische Medienberichte sollten Handelsunternehmen nicht davon abhalten, dort, wo es notwendig ist, unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der Persönlichkeitsrechte von Kunden und Mitarbeitern die erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Diebstählen zu ergreifen.

An der aktuellen Untersuchung beteiligten sich 91 Unternehmen mit über 14.000 Verkaufsstellen, die einen Gesamtumsatz von gut 63 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. Die durchschnittliche Verkaufsfläche der beteiligten Märkte beträgt 1.390 qm.

Quelle Abbildungen (4): EHI-Erhebung Inventurdifferenzen 2012

Kontakt: horst@ehi.org

Inventurdifferenzen 2012

Weitere Daten, Hintergründe und detailliertere Auswertungen zur Entwicklung der Inventurdifferenzen sind als Studie „Inventurdifferenzen 2012“ beim EHI-Verlag zu beziehen.

Mehr Infos unter: www.ehi.org/gb/verlag/shop-seiten

Format: 21 x 21 cm, broschiert, 60 Seiten

ISBN: 978-3-87257-387-2

Preis: 495,00 € (inkl. MwSt. und Versand)

Mail: vertrieb@ehi.org

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